Eine eigene Frau
Spitzenhandschuh verhüllten Hand hatten ihn auf peinliche Art lange erregt.
Aber nachdem der Genossenschaftsladen aufgemacht hatte, sprang Joel die hübsche Erscheinung der neuen Ladenhilfe ins Auge, vor allem ihre außerordentliche Oberweite, und er verstand, dass es an der Zeit war, einen Schritt vorwärts zu machen. Niederlagen in Frauenangelegenheiten waren offenbar unumgänglich, aber vorübergehend. Er kaufte sich das Notizheft und vertraute dem Fräulein Wiberg an, er werde von nun an sämtliche wichtigen Ereignisse seines Lebens darin aufschreiben, wie zum Beispiel jetzt die Eröffnung dieses Genossenschaftsladens unter der kompetenten und nahezu selbstlosen Mitwirkung des Ladenfräuleins.
Es interessierte Joel auch sehr, welcher Meinung das Fräulein Wiberg über das eindeutig sozialistische Parteiprogramm von Forssa war. Fräulein Wiberg sagte, sie halte sich eher an die Angelegenheiten des Genossenschaftsladens.
Genau, aber dem Fräulein sei doch sicher aufgefallen, dass es sich um ein eindeutig sozialistisches Programm handele. Schon die Grundsatzpräambel stelle nämlich eine ziemlich genaue Abkehr vom Programm der Sozialdemokratischen Partei Österreichs dar, und die elf Ziele für die nahe Zukunft glichen weitgehend den Forderungen, die von den deutschen Sozialdemokraten erhoben wurden.
»Ach ja?«
Ja, genau. Als zentrales Ziel der nächsten Zeit habe sich der Kampf ums Stimmrecht herauskristallisiert, aber Joel fand, es sei außerordentlich lohnend, alle elf Ziele anzustreben.
Was ja auch stimmte. Allerdings mochte er nicht laut zugeben, dass die Erinnerung an den Geschmack und die Wirkung des unlängst genossenen taschenwarmen Gins ihn sogar gegenüber dem letzten Paragraphen des Programms gewogen stimmte, in dem ein vollständiges Alkoholverbot gefordert wurde.
Stattdessen gestand er dem Fräulein Wiberg, durch und durch geblendet zu sein von den unfassbaren, aber doch einleuchtenden Möglichkeiten, die das Parteiprogramm eröffne: Das Volk würde das Recht erhalten, auf die Gesetzgebung Einfluss zu nehmen. Die Lohnsteuer würde gestaffelt werden. Durch die Steuer würde man die unverhältnismäßige Anhäufung von Eigentum und die ungerechtfertigte Wertsteigerung von Land verhindern. Die Religion bliebe Privatsache, und alle Kinder kämen in eine kostenlose Schule.
»Ja, den Schulbesuch unterstütze ich auch aus ganzem Herzen«, sagte das Fräulein.
Aus ganzem Herzen! Ja, genau, das war treffend gesagt, fand Joel. Er konnte sich nicht verkneifen, auf die Stelle zu schielen, wo das Herz des Ladenfräuleins pochte, und er erklärte, die fragwürdigen Freuden des Trinkens aufzugeben, sei für ihn ein kleiner Preis dafür, dass sich der arbeitende Teil der Bevölkerung nicht mehr von den Bürgern herumkommandieren lassen müsse. Jetzt müsse man sich nur gemeinsam dafür ins Zeug legen, dass die Gerechtigkeit auch in Kraft trete. Und besonders für die Gleichberechtigung der Frau müsse jeder alles geben.
Ja, der Ansicht war das Fräulein Wiberg leicht errötend auch.
Nachdem er gemerkt hatte, dass seine Worte unverkennbar Eindruck auf die hübsche Hilfe im Genossenschaftsladen machten, fasste sich Joel ein Herz und pflegte sein Talent auch auf den Versammlungen im Dorf. Ihm war nämlich aufgefallen, dass auch geachtete Arbeiter sich leicht verhedderten, wenn sie vor einer großen Menschenmenge Stellung nehmen mussten. Er hingegen fürchtete sich nicht vor Publikum.
Gerade wenn er die Bedeutung der in Forssa aufgestellten Ziele kommentierte, sah Joel, wie seine Worte tiefen Eindruck hinterließen. Die Blicke und Fragen spiegelten verblüffte, aber unbestreitbare Achtung wider. Er vergaß nicht, stets besonderes Gewicht auf die umfassende Gleichberechtigung von Mann und Frau zu legen. »Im Übrigen bin ich der Meinung«, schloss er jede seiner Reden, »dass die Frauenfrage unverzüglich korrigiert werden muss.«
Joel hört Kustaa vorschlagen, er könne den Händler mit seinem Schlitten bis nach Hause schieben, wenn er dafür ein Büchlein aus dessen Sortiment mit Rabatt bekäme. Zu Joels Überraschung nickt der Alte nach kurzem Überlegen. Er schlägt erneut die Decke zur Seite, beugt sich mit Kustaa über die Fuhre und verhandelt mit ihm mit leisem, würdevollem Ernst.
Joel wirft den Zigarettenstummel in den Schnee und erklärt, er werde dem jungen Salin einen kurzen Besuch abstatten. Die beiden anderen schenken ihm keine Beachtung mehr. Als sich Joel an der Ecke von der Hochburg noch
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