Eine eigene Frau
so richtig in Fahrt kommt, erinnert ihn sein eigenes Mundwerk an ein Kalb, das zum ersten Mal im Frühjahr aus dem dunklen Stall auf die Weide gelassen wird. Aber was für einen Wert besitzen imposante Phrasen, wenn ihre Wirkung nicht über den Abend der Versammlung hinausreicht?
»Wieso sollten die nicht wirken?«, wundert sich Kustaa und rollt mit den braunen Augen.
»Ich kann den Akkordarbeitern erklären, wie man die Arbeit am besten macht, aber der Stapel wächst nicht durch die Kraft der Worte, sondern indem man Bretter schleppt.«
So ist das, mit Worten wird die Welt tatsächlich nicht aufgebaut. Einer wie der Sakari Salin schafft zwei Packen in der Zeit, in der einer wie Joel Tammisto noch auslost, in welcher Reihenfolge getragen wird und erklärt, wo man zuerst anfasst und wer auf den Stapel steigen soll, wenn es so viele Lagen gibt, dass man von unten nicht mehr hinkommt. Darin ist Joel ausgezeichnet, er kann aus so einer simplen Angelegenheit wie dem Tragen von Schnittholz eine verfluchte theoretische Frage machen. Aber die Rederei bewirkt lediglich eine Verzögerung der Arbeit. Joel muss zugeben, dass er als Schnittholzträger höchstens mittelmäßig ist, und was den Sozialismus betrifft, dürfte es ähnlich sein. Die einen reden darüber, die anderen schaffen ihn.
»Na, na«, sagt Kustaa.
Er versteht Joels plötzlichen Anfall von Selbstgeißelung nicht, ist davon aber auch nicht überrascht. Er kennt Joels Gemütsschwankungen, und er findet nicht, dass sie den Wert von Joels Verdiensten mindern. Eher im Gegenteil, viel unangenehmer sind Aufschneider anzuhören, die ständig in Selbstgefälligkeit schwelgen.
»Na ja, aber wenn man sich selbst herabsetzt, kann das auch ein Mittel sein, Wertschätzung zu heischen«, meint Joel.
Und in diesem Fall war es auch so. Joel muss zugeben, dass er nur auf die todsichere Bewunderung von Kustaa aus ist. Aber das ändert keinen Deut an der Wahrheit. Daran nämlich, dass Joel Tammisto letzten Endes nicht mehr darstellt als einen Wirrkopf aus einem kleinen Dorf, der gerade mal so viel Schulbildung erhalten hat, dass er immerhin lesen, rechnen und schreiben kann. Und er liest ja auch, sämtliche Zeitungen und Broschüren, die er in die Hände bekommt. Aber das tun viele andere ebenfalls, Kustaa zum Beispiel, und noch viel fleißiger, weshalb man auch wegen solcher Verdienste nicht allzu weit das Maul aufreißen sollte.
Kusta schweigt. Er begreift, dass Joel in der augenblicklichen Gemütsverfassung keine Antwort recht ist.
Der Himmel wird dunkel, die Wolken hängen schwer über den Holzgebäuden der Mietskaserne. Joel überlegt, wieder hineinzugehen, da holt Frans Vatanen, der fliegende Händler, ihn und Kustaa vor der Treppe ein und breitet sein Sortiment vor ihnen aus. Flugs die Filzdecke vom Schlitten und den Lammfellmantel mit den Innentaschen aufgeschlagen: Da, die freie Auswahl!
»Was kann der Händler denn empfehlen?«
Frans ziert sich und blickt in alle Richtungen, wobei er mit den Schuhen im Schnee stampft. Die Stimmung ist reservierter als sonst.
»Das ist alles, was ich hab.«
Joel kauft Tinte und Löschpapier. Er blättert auch in den Broschüren, in denen hübsche Büro- und Hausmädchen bis zum Äußersten versuchen, unter der Bedrängung lüsterner Vorgesetzter ihre Keuschheit zu wahren. Die jungen Kerle legen ihr weniges Geld zusammen, müssen aber feststellen, dass sie sich keines der Büchlein leisten können. Das Geheimnis des Kommerzienrats würde sie schon interessieren; was für eine Geschichte das wohl sein mochte? Hat Herr Vatanen eines der Büchlein womöglich selbst gelesen? Gäbe es eines, das auf dem Weg so sehr gelitten hat, dass man über den Preis noch einmal nachdenken könnte?
Nein, alle Bücher sind erstklassige Ware, und wenn man wissen will, worum es geht, muss man sich eines kaufen. Auch wenn er mit Herr angeredet wird, mildert das nicht die Haltung des sichtlich gereizten Alten gegenüber dem Käuferduo. Er schlägt die Filzdecke wieder über die Fuhre, setzt ein Knie neben den Bücherstapel und versucht mit seinem besseren Bein den Schlitten von den beiden jungen Kerlen wegzubugsieren. Der Schnee macht es ihm schwer, und Kustaa hilft beim Schieben. Der Alte bedankt sich nicht, sondern sieht Kustaa nur an. Aber er behält nun nicht mehr für sich, was ihm durch den Kopf geht. Er habe gehört, knurrt er, dass auch Joel und Kustaa neuerdings den Laden der Genossenschaft bevorzugten.
Joel zuckt mit den Schultern. Er wird
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