Eine Eule kommt selten allein
Großvaters letztes verrücktes Experiment ausgelassen hat.« Winifred zuckte mit den Achseln. »Wenn man bedenkt, wie hoch die Kosten für den Bau der Station geschätzt wurden, sah es wirklich so aus, als bliebe mir kaum noch genug zum Leben, was mich weiter nicht gestört hat. Erst als Mr. Debenham und die anderen angefangen haben nachzuforschen, was aus all den angeblich wertlosen Investitionen meines Großvaters geworden war, haben wir nach und nach herausgefunden, wie reich er tatsächlich gewesen ist. Doch zu diesem Zeitpunkt war die Öffentlichkeit Gott sei Dank längst nicht mehr an mir interessiert, und es ist uns glücklicherweise auch gelungen, unsere Entdeckungen geheimzuhalten. Wenn Mr. Fanshaw und die Kerle, mit denen er zusammenarbeitete, also tatsächlich geplant hatten, ein Riesenlösegeld zu verlangen, woher wußten sie, daß ich überhaupt zahlen konnte?«
»Weil Fanshaw und seine Kumpane Ihre finanzielle Lage sehr viel besser kennen als ihnen zusteht.« »Aber wie sollen sie es erfahren haben?«
»Hmja, diese Frage stelle ich mir auch schon seit geraumer Zeit.«
»Nun, ich frage mich das erst seit dem Moment, als diese Rüpel mir den Sack über den Kopf gestülpt und mich in ihr Auto gestoßen haben. Ich koche jedesmal vor Wut, wenn ich darüber nachdenke, wie die mich behandelt haben.«
Winifred kochte einige Sekunden still vor sich hin und fuhr dann fort: »Ich nehme an, Fanshaw ist der eigentliche Anführer, obwohl ich natürlich keinen Moment lang glaube, daß das sein richtiger Name ist. Oder sind Sie anderer Meinung?«
»Ich bin mir nicht einmal sicher, ob Fanshaw überhaupt ein richtiger Mensch ist. Dazu erinnert er mich viel zu sehr an eine Figur aus den Büchern von John Buchan.«
»Ach ja, Sie denken sicher an den Mann, der in Mr. Standfast sein wohlverdientes Ende fand. Meine Tante hat immer große Stücke auf John Buchan gehalten, weil er so hehre Moralvorstellungen hatte. Ich muß zugeben, daß ich seine Bücher eher wegen ihrer Spannung schätzte. Das Leben mit meiner Tante war zwar recht angenehm, aber was Wortgefechte und Spannung anging, bedauerlicherweise eher langweilig. Mit Ausnahme einiger Teegesellschaften. Aber ich gehe davon aus, daß Fanshaw inzwischen sicher hinter Schloß und Riegel sitzt.«
»Wollen wir es hoffen. Seine letzte Aktion oben auf dem Dock gibt mir zu denken. Ich kann mir partout nicht vorstellen, wie er es geschafft haben soll, die schweren Vertäuungen loszumachen, ohne beide Hände frei zu haben.«
»Wollen Sie damit sagen, daß er es geschafft hat, sich aus den Handschellen zu befreien?«
»Houdini konnte es schließlich auch. Man spannt die Muskeln an, während einem die Dinger angelegt werden, glaube ich, und dann entspannt man sie wieder, und schon ist die Sache gelaufen. Oder man hat Freunde bei der Polizei.«
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit, daran hatte ich noch gar nicht gedacht. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, die Polizei sei unser Freund und Helfer, Gesetzes- und Ordnungshüter, und ich nehme an, auf die meisten Polizisten trifft dies auch zu. Natürlich gibt es Ausnahmen, wir kennen schließlich die menschliche Natur. Ich glaube allerdings, daß man einen extrem langen Arm braucht, um einen Beamten der Wasserpolizei dazu zu bringen, im Falle einer plötzlichen Festnahme in einer stürmischen Nacht als Befreier zu fungieren. Obwohl man die ungewöhnliche Wetterlage möglicherweise ausnutzen kann, wenn man intelligent ist und schnell reagieren kann. Was auf Fanshaw sicherlich zutrifft, immerhin hat er sich auch aus dem Gefängnis befreit, indem er zwei Polizisten hypnotisiert hat, während-« Winifred errötete und hielt den Mund.
»Während ein naiver Professor im Nebenzimmer Allotria trieb«, führte Peter ihren Satz zu Ende. »Schon gut, Winifred, meine Schultern sind breit genug, um die Bürde deines langsamen Gehirns zu tragen.«
»Stellen Sie bitte Ihr Licht nicht unter den Scheffel, Peter. Meine Tante hat immer gesagt, daß übertriebene Bescheidenheit eine Form von Prahlerei ist. Wie hätten Sie auch so einen ausgefallenen Trick vorhersehen können? Wenn Sie Fanshaw nicht so schnell in seiner Schleppkahn-Annie-Verkleidung erkannt hätten, wäre es möglicherweise zu einem furchtbaren Unglück gekommen. Ich habe jedenfalls nichts gemerkt, dabei war ich länger mit ihm zusammen, als mir lieb war. Meine Güte, was hätte meine Tante wohl dazu gesagt, wenn sie mich in den Klauen eines Verbrechers gesehen hätte?
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