Eine Evatochter (German Edition)
Honoré zu Frau von Espard. Als er Rastignac in elegantem Kupee ankommen sah, während er seinen Kutscher am Tor bezahlte, fühlte er sich in seiner Eitelkeit verletzt. Er beschloß, sich ein elegantes Kupee und den obligaten Diener zuzulegen. Der Wagen der Gräfin stand im Hofe. Bei diesem Anblick schwoll Raouls Herz vor Wonne. Marie gehorchte dem Druck seines Verlangens mit der Regelmäßigkeit einer Uhr, die von ihrer Feder getrieben wird. Sie saß in dem kleinen Salon in der Kaminecke, in einen Lehnstuhl hingegossen. Anstatt Nathan anzusehen, als er gemeldet wurde, betrachtete sie ihn im Spiegel, da sie sicher war, daß die Hausfrau ihn begrüßen würde. Da die Liebe in der Welt verfolgt wird, muß sie ihre Zuflucht zu solchen kleinen Listen nehmen. Sie verleiht den Spiegeln, den Muffen und Fächern, kurz einer Menge von Dingen Leben, deren Nutzen nicht von vornherein feststeht und die viele Frauen gebrauchen, ohne sie zu benutzen.
»Der Herr Minister«, sagte Frau von Espard, zu Nathan gewandt, mit einem Blick auf de Marsay, »verfocht in dem Augenblick, wo Sie kamen, die Ansicht, daß die Royalisten und die Republikaner einander verstehen. Sie müssen ja darüber Bescheid wissen!«
»Und wenn schon,« sagte Raoul, »was kann es schaden? Wir sind uns einig im Haß und in der Liebe verschieden. Das ist alles.«
»Dies Bündnis ist zum mindesten wunderlich,« bemerkte de Marsay, die Gräfin Felix und Raoul mit einem Blick umspannend.
»Es wird nicht lange dauern,« sagte Rastignac, der wie alle Neulinge zu sehr an die Politik dachte.
»Was meinen Sie dazu, liebe Freundin?« fragte Frau von Espard die Gräfin.
»Ich verstehe nichts von der Politik.«
»Sie werden es schon lernen, Frau Gräfin,« sagte de Marsay, »und dann sind Sie doppelt unsre Feindin.«
Nathan und Marie begriffen seine Bemerkung erst, als de Marsay fort war. Rastignac folgte ihm, und Frau von Espard gab ihnen bis zur Tür ihres ersten Salons das Geleit. Die beiden Liebenden dachten nicht mehr an die spitzen Bemerkungen des Ministers und fühlten sich reich – hatten sie doch ein paar Minuten für sich! Marie zog hastig den Handschuh aus und reichte Raoul die Hand. Er ergriff sie und küßte sie wie ein Achtzehnjähriger. Die Augen der Gräfin drückten eine so schrankenlose edle Zärtlichkeit aus, daß eine Träne in Raouls Augen trat, die Träne, die alle nervösen Männer stets zur Verfügung haben.
»Wo kann ich Sie sehen? Wo mit Ihnen sprechen?« fragte er. »Ich stürbe, müßte ich stets meine Stimme, meinen Blick, mein Herz, meine Liebe verstellen.«
Durch diese Träne gerührt, versprach Marie, jederzeit ins Bois zu kommen, wenn das Wetter nicht zu schlecht wäre. Dies Versprechen machte Raoul mehr Freude, als Florine ihm in fünf Jahren bereitet hatte.
»Ich habe Ihnen so viel zu sagen! Ich leide so unter dem Schweigen, zu dem wir verurteilt sind.«
Die Gräfin blickte ihn berauscht an. Sie war keiner Antwort fähig. Die Marquise kam zurück.
»Wie! Sie haben de Marsay keine Antwort gegeben!« sagte sie.
»Man muß die Toten ehren,« entgegnete Raoul. »Sehen Sie nicht, daß er in den letzten Zügen liegt? Rastignac ist sein Krankenwärter; er hofft, im Testament bedacht zu werden.«
Die Gräfin behauptete, Besuche machen zu müssen, und wollte gehen, um sich nicht bloßzustellen. Für diese Viertelstunde hatte Raoul seine kostbarste Zeit und seine brennendsten Interessen geopfert. Marie wußte noch nichts von den Einzelheiten dieses Zugvogel-Daseins, diesem Gemisch von höchst verwickelten Geschäften und anstrengendster Arbeit. Wenn zwei Menschen, die eine ewige Liebe vereint, ein Dasein führen, das durch Anvertrauungen, durch gemeinsame Prüfung der überwundenen Hindernisse täglich fester geknüpft wird, wenn zwei Herzen am Morgen oder Abend ihren Kummer austauschen, wie der Mund die Seufzer austauscht, wenn sie in den gleichen Ängsten schweben und beim Anblick eines Hindernisses gemeinsam erbeben, dann zählt alles mit. Eine Frau weiß dann, wie viel Liebe in einem nicht ausgetauschten Blick, wie viel Anstrengung in einer raschen Fahrt liegt. Sie nimmt Teil am Leben des beschäftigten, gehetzten Mannes, kommt, geht, hofft und rührt sich mit ihm. Ihre Klagen richtet sie an die Dinge. Sie zweifelt nicht mehr, sie kennt die Einzelheiten des Lebens und würdigt sie. Im Anfang einer Leidenschaft dagegen, wo so viel Glut, Mißtrauen und Ansprüche entstehen, wo keiner den andern kennt, zudem bei unbeschäftigten
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