Eine Evatochter (German Edition)
Damen, an deren Tür die Liebe stets Posten stehen muß, bei Damen, die eine übertriebene Vorstellung von ihrer eignen Würde haben und in allem und jedem Gehorsam fordern, selbst wenn sie etwas Falsches gebieten, das den Mann zugrunde richtet, stellt die Liebe heutzutage in Paris unmögliche Anforderungen.
Die vornehmen Damen leben noch im Bann der Traditionen des 18. Jahrhunderts, wo jedermann eine sichre, bestimmte Stellung hatte. Wenige Frauen kennen die Schwierigkeiten im Dasein der meisten Männer, die sich alle erst eine Stellung zu erkämpfen, Ruhm zu erwerben, ihr Glück zu machen haben. Heutzutage sind die Leute in gesicherter Lage zu zählen. Nur die Greise haben Zeit zum Lieben. Die Jungen rudern auf den Galeeren des Ehrgeizes, wie es Nathan tat. Die Frauen haben sich in diesen Wechsel der Sitten noch nicht recht gefunden. Sie widmen ihre überflüssige Zeit denen, die zu wenig Zeit haben. Sie stellen sich keine andre Beschäftigung, kein andres Ziel vor, als sie selbst haben. Besiegt der Liebhaber die lernäische Hydra, um sein Glück zu machen, so hat er nicht das mindeste Verdienst; alles verblaßt vor dem Glück, sie zu sehen. Die Frauen wissen ihm nur Dank für ihre eignen Gemütserregungen und fragen nicht, was sie kosten. Haben sie in ihren müßigen Stunden eine jener Kriegslisten ersonnen, die ihnen zu Gebote stehen, so lassen sie sie wie ein Juwel leuchten. Während ihr die Eisenstangen irgendeines Zwanges biegt, haben sie Handschuhe angezogen, den Mantel einer List angelegt. Ihnen gebührt die Palme, macht sie ihnen nicht streitig! Übrigens haben sie recht: warum nicht alles für eine Frau preisgeben, die alles für einen Mann preisgibt? Sie verlangen soviel als sie geben. Bei der Heimkehr wurde Raoul sich inne, wie schwer es für ihn sein würde, eine Liebschaft in der Gesellschaft, einen zehnspännigen Redaktionskarren, seine Theaterstücke und seine verfahrenen Geschäfte am Zügel zu führen.
»Die Zeitung fällt heute abend abscheulich aus,« sagte er sich im Fortgehen; »es ist kein Aufsatz von mir drin, und in der nächsten Nummer auch nicht.« Frau Felix von Vandenesse fuhr dreimal ins Bois, ohne Raoul zu treffen. Sie kehrte verzweifelt und voller Sorge zurück. Nathan wollte sich dort nur im Glanz eines Pressekönigs zeigen. Er verbrachte die ganze Woche damit, nach zwei Pferden, einem Wagen und einem anständigen Diener zu suchen und seine Teilhaber davon zu überzeugen, daß er seine kostbare Zeit sparen müsse und daß die Kosten für den Wagen auf die Gesamtkosten der Zeitung verbucht werden müßten. Seine Teilhaber Massol und du Tillet erfüllten seinen Wunsch so gefällig, daß sie ihm als die besten Menschen auf Erden erschienen. Ohne diese Hilfe wäre das Leben für Raoul unmöglich geworden. Ohnedies wurde sein Dasein trotz der zartesten Freuden idealer Liebe so hart, daß viele, selbst die stärksten Naturen, so vielen Anforderungen nicht gewachsen wären.
Eine heftige, aber glückliche Leidenschaft nimmt im gewöhnlichen Leben schon viel Raum ein. Galt sie aber einer Frau in der Stellung der Gräfin von Vandenesse, so mußte sie das Leben eines vielbeschäftigten Mannes wie Raoul verzehren. Fast Tag für Tag zwischen 3 und 4 Uhr mußte er sich zu Pferde im Bois de Boulogne zeigen, in der äußeren Erscheinung des unbeschäftigten Gentleman. Dort erfuhr er, in welchem Hause, in welchem Theater er Frau von Vandenesse am Abend sehen würde. Er verließ die Salons erst um Mitternacht, nachdem er ein paar längst ersehnte Worte erhascht, ein paar hastige Zärtlichkeitsbeweise unter dem Tisch, zwischen zwei Türen oder beim Besteigen des Wagens erhascht hatte. Meistenteils sorgte Marie, die ihn in die große Welt gebracht hatte, dafür, daß er in verschiedenen Häusern, wo sie verkehrte, zum Diner eingeladen wurde. War das nicht ganz einfach? Aus Stolz und von seiner Leidenschaft hingerissen, wagte Raoul nicht von seiner Arbeit zu sprechen. Er mußte den launenhaften Wünschen dieser unschuldigen Gebieterin gehorchen und dabei die Parlamentsdebatten, den Strudel der Politik verfolgen, die Zeitung leiten und zwei Stücke auf die Bühne bringen, deren Einnahmen unentbehrlich waren. Frau von Vandenesse brauchte nur etwas zu schmollen, wenn er sich von einem Ball, einem Konzert, einer Spazierfahrt drücken wollte, und er opferte seine Interessen seinem Vergnügen. Kam er zwischen 1 und 2 Uhr früh aus der Gesellschaft zurück, so setzte er sich bis 8 oder 9 Uhr an die Arbeit,
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