Eine Evatochter (German Edition)
schlief etwas, stand dann wieder auf, um die Stellungnahme der Zeitung mit den einflußreichen Leuten zu besprechen, von denen er abhing, und die tausend inneren Geschäfte zu regeln.
Heutzutage hängt der Journalismus ja mit allem zusammen, mit der Industrie, mit den öffentlichen und privaten Interessen, mit neuen Unternehmungen, mit jeder Art von Eigenliebe in der Literatur und ihren Erzeugnissen. War Nathan abgehetzt und erschöpft aus seinem Redaktionsbüro ins Theater geeilt, aus dem Theater in die Kammer, aus der Kammer zu irgendwelchen Gläubigern, so mußte er ruhig und glücklich vor Marie erscheinen und mit der Lässigkeit eines sorglosen Mannes, der keine anderen Anstrengungen kennt, als die, welche sein Glück erheischt, neben ihrem Wagenschlag einhergaloppieren. Und wenn er zum Lohn für so viele ihr unbekannte Opfer nichts erhielt, als die sanftesten Worte und die holdesten Gewißheiten einer ewigen Zuneigung, als leidenschaftliche Händedrücke in ein paar unbeobachteten Augenblicken und glühende Liebesworte, die er mit ihr tauschte, so kam er sich bisweilen recht dumm vor, daß sie nichts von dem ungeheuren Preis erfuhr, mit dem er diese kleinen »Zeichen der Huld« bezahlte, um mit unsern Voreltern zu reden. Die Gelegenheit zu einer Aussprache ließ nicht auf sich warten. An einem schönen Apriltag nahm die Gräfin in einer entlegenen Gegend des Bois de Boulogne Nathans Arm. Sie hatte ihm einen jener reizenden Vorwürfe wegen nichtiger Dinge zu machen, auf die die Frauen Berge zu bauen verstehen. Statt ihn mit einem Lächeln auf den Lippen und mit glückstrahlender Stirn zu begrüßen, statt daß irgendein feiner, lustiger Gedanke ihre Augen belebte, war sie ernst und feierlich.
»Was haben Sie?« fragte Nathan.
»Geben Sie sich nicht mit diesen Nichtigkeiten ab,« antwortete sie. »Sie müssen doch wissen, daß die Frauen Kinder sind.«
»Habe ich Ihr Mißfallen erregt?«
»Wäre ich dann hier?«
»Aber Sie lächelten mir nicht zu. Sie schienen nicht glücklich, mich zu sehen.«
»Ich bin Ihnen böse, nicht wahr?« sagte sie und blickte ihn mit der unterwürfigen Miene an, mit der die Frauen sich als Opfer hinstellen.
Nathan ging ein paar Schritte weiter. Eine Befürchtung schnürte sein Herz zusammen und stimmte ihn traurig.
»Es ist«, sagte er nach kurzem Schweigen, »wohl eine jener nichtigen Befürchtungen, jener luftigen Verdachtsgründe, die Ihnen über die größten Dinge des Lebens gehen. Sie verstehen sich darauf, die Welt zu gängeln, indem Sie einen Strohhalm hineinwerfen!«
»Ironie? ... Darauf war ich gefaßt,« sagte sie, den Kopf senkend.
»Marie, mein Engel, siehst du nicht, daß ich das sagte, um dir dein Geheimnis zu entlocken?«
»Mein Geheimnis bleibt ein Geheimnis, selbst wenn ich es dir anvertraut habe.«
»Also sprich ...«
»Ich werde nicht geliebt,« versetzte sie mit jenem listigen Seitenblick, mit dem die Frauen den Mann, den sie quälen wollen, so boshaft ausfragen.
»Nicht geliebt? ...« rief Nathan.
»Ja, Sie geben sich mit zu viel Dingen ab. Was bin ich inmitten dieses ganzen Wirrwarrs? Bei jeder Gelegenheit vergessen. Gestern kam ich ins Bois. Ich erwartete Sie ...«
»Aber ...«
»Ich hatte für Sie ein neues Kleid angezogen, und Sie kamen nicht. Wo waren Sie?«
»Aber ...« »Ich wußte es nicht. Ich ging zu Frau von Espard und fand Sie nicht.«
»Aber ...«
»Abends, in der Oper habe ich unverwandt nach dem Balkon geblickt. Jedesmal, wenn die Tür aufging, klopfte mein Herz zum Zerspringen.«
»Aber ...«
»Welch ein Abend! Von diesen Stürmen des Herzens ahnen Sie nichts.«
»Aber ...«
»Man reibt sich in solchen Aufregungen auf ...«
»Aber ...«
»Nun?« fragte sie.
»Ja,« sagte Nathan, »man reibt sich auf, und Sie werden in ein paar Monaten mein Leben aufgerieben haben. Ihre sinnlosen Vorwürfe entreißen mir nun auch mein Geheimnis ... Ach! Sie werden nicht geliebt? ... Zu sehr werden Sie geliebt.«
Nun schilderte er seine Lage in lebhaften Farben, erzählte von seiner Nachtarbeit, gab ihr seinen Tageslauf im einzelnen an, sprach von dem Zwange, Erfolge zu erringen, von den unersättlichen Ansprüchen einer Zeitung, deren Leiter die Ereignisse im voraus einschätzen müsse, wolle er nicht seinen Einfluß verlieren, kurz von all den hastigen Erörterungen von Fragen, die in dieser rasenden Zeit im Wolkenfluge vorübereilten. Raoul war gleich wieder im Unrecht. Die Marquise von Espard hatte es ihm richtig gesagt: nichts ist so
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