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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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eine andre und kein Platz in meinem Herzen,« antwortete er wahrheitsgetreu; so sehr verachtete er Florine. »Ich glaube es dir,« sagte sie.
    In der Allee, in der die Wagen hielten, ließ Marie Nathans Arm los, und er nahm eine ehrerbietige Haltung an, als wäre er ihr begegnet. Er begleitete sie mit dem Hut in der Hand zu ihrem Wagen, dann folgte er ihr durch die Allee Charles X., sog den Staub ein, den ihr Wagen aufwirbelte, und sah die Federn auf ihrem Hute zum Wagen hinausflattern.
    Trotz Maries edler Entsagung erschien Raoul, von seiner Leidenschaft hingerissen, überall, wo sie war. Er bewunderte die unzufriedene und doch glückstrahlende Miene, mit der sie ihn tadeln wollte und es doch nicht vermochte, weil er seine kostbare Zeit so vergeudete. Marie übernahm nun die Leitung seiner Tätigkeit, gab ihm bestimmte Weisungen für seine Tageseinteilung, blieb zu Hause, um ihm jeden Vorwand zur Ablenkung zu nehmen. Jeden Morgen las sie die Zeitung und machte sich zum Herold des Ruhmes von Etienne Lousteau, dem Feuilletonschreiber, den sie entzückend fand, von Felicien Vernou, Claude Vignon und allen Redakteuren. Sie riet Raoul, de Marsay Gerechtigkeit zu erweisen, als er starb, und las voller Entzücken die große, schöne Lobrede, die Raoul dem verstorbenen Minister widmete, obwohl er seinen Machiavellismus und seinen Haß auf die Menge tadelte. Natürlich saß sie im Proszenium des Gymnasetheaters bei der Uraufführung des Stückes, auf das Nathan rechnete, um sein Unternehmen über Wasser zu halten. Der Erfolg schien gewaltig. Sie fiel auf den bezahlten Beifall herein.
    »Sie sind nicht in die Abschiedsvorstellung zu den Italienern gekommen,« sagte Lady Dudley, zu der sie nach dieser Vorstellung fuhr.
    »Nein, ich war im Gymnase. Es war eine Premiere.«
    »Ich mag das Vaudeville nicht. Mir geht es dabei, wie Ludwig XIV. bei den Bildern von Teniers.«
    »Ich,« entgegnete Frau von Espard, »ich finde, daß die Bühnenschriftsteller Fortschritte machen. Die Vaudevillestücke sind heute reizende, geistsprühende Lustspiele, die viel Talent fordern, und ich amüsiere mich köstlich dabei.«
    »Die Schauspieler sind auch vorzüglich,« sagte Marie. »Im Gymnase spielten sie heute abend sehr gut. Das Stück lag ihnen; der Dialog ist fein, geistreich.«
    »Wie bei Beaumarchais,« bemerkte Lady Dudley.
    »Herr Nathan ist noch kein Molière, aber« ... sagte Frau von Espard und blickte die Gräfin an.
    »Er schreibt Vaudevillestücke,« sagte Frau Charles von Vandenesse.
    »Und stürzt Minister,« setzte Frau von Manerville hinzu.
    Die Gräfin schwieg. Sie wollte mit scharfen Bemerkungen antworten; sie fühlte, wie es ihr im Herzen kochte, aber ihr fiel nichts Besseres ein, als:
    »Er wird vielleicht noch Minister machen.«
    Alle Damen wechselten einen Blick geheimnisvollen Einverständnisses. Als Marie von Vandenesse ging, rief Moina von Saint-Héren:
    »Sie betet Nathan an!«
    »Sie hält nichts von Heimlichkeiten,« versetzte Frau von Espard.
    Der Mai kam und Vandenesse reiste mit seiner Frau auf sein Landgut. Hier fand sie allein Trost in Raouls leidenschaftlichen Briefen, die sie täglich beantwortete.
    Ihr Fernsein hätte Raoul vor dem Abgrund retten können, an dessen Rande er stand, wäre Florine bei ihm gewesen. Aber er war allein, umgeben von Freunden, die zu heimlichen Feinden geworden waren, seit er die Absicht verriet, sie zu beherrschen. Seine Mitarbeiter haßten ihn jetzt, waren aber bereit, ihm im Fall seines Sturzes die Hand zu reichen und ihn zu trösten, oder ihn im Fall seines Sieges anzubeten. So geht es in der Schriftstellerwelt. Man liebt dort nur Leute, die unter einem stehen. Jeder ist des Emporstrebenden Feind. Dieser allgemeine Neid verzehnfacht die Aussichten der Mittelmäßigkeiten, die weder Neid noch Argwohn erregen, die wie Maulwürfe ihren Weg gehen und bei all ihrer Dummheit drei bis vier Stellen im »Moniteur« erhalten, während die Talente sich noch vor der Tür herumprügeln, um einander den Eintritt zu verwehren. Diese dumpfe Feindseligkeit seiner angeblichen Freunde hatte Florine in ihrem Kurtisaneninstinkt, der das Wahre aus tausend Möglichkeiten herausfühlte, richtig erraten, aber sie war nicht die größte Gefahr für Raoul. Seine beiden Teilhaber, der Advokat Massot und der Bankier du Tillet, hatten die Absicht, ihn als Arbeitspferd vor den Wagen zu spannen, in dem sie sich breit machten, und ihn an die Luft zu setzen, sobald er außerstande war, die Zeitung zu halten,

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