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Eine Evatochter (German Edition)

Eine Evatochter (German Edition)

Titel: Eine Evatochter (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Honoré de Balzac
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Gräfin. Rastignac konnte sich nicht vorstellen, daß die Baronin je in diese Sache hätte verwickelt sein können, die übrigens in seinen Augen nur eine Nebensache war, ein Mittel unter vielen andern. Er erklärte sie ihr also. Delphine hatte vielleicht du Tillets Wahlaussichten zerstört, die Irreführungen und Opfer eines ganzen Jahres vereitelt. Rastignac weihte die Baronin also ein und empfahl ihr, den begangenen Fehler geheim zu halten.
    »Vorausgesetzt,« sagte sie, »daß der Kassierer meinem Gatten nichts sagt.«
    Kurz vor Mittag, als du Tillet frühstückte, wurde Gigonnet gemeldet.
    »Er soll hereinkommen,« entschied der Bankier, obwohl seine Frau bei Tische saß. »Na, alter Shylock, ist unser Mann eingesperrt?«
    »Nein.«
    »Wieso? sagte ich Ihnen nicht: Rue du Mail, Hotel ...«
    »Er hat bezahlt,« versetzte Gigonnet und zog vier Banknoten aus seiner Tasche.
    Du Tillet machte eine verzweifelte Miene.
    »Man soll die Taler nie unfreundlich empfangen,« sagte du Tillets Helfershelfer kaltblütig. »Das kann Unglück bringen.«
    »Wo haben Sie das Geld her, Madame?« fragte der Bankier und warf seiner Frau einen Blick zu, bei dem sie bis in die Haarwurzeln errötete.
    »Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen,« entgegnete sie.
    »Ich werde schon hinter dies Geheimnis kommen,« antwortete er und stand wütend auf. »Sie haben meine schönsten Pläne umgeworfen«
    »Sie werden Ihr Frühstück umwerfen,« sagte Gigonnet und hielt das Tischtuch fest, das sich in den Zipfel von du Tillets Schlafrock verwickelt hatte.
    Frau du Tillet stand kalt auf, um hinauszugehen; dies Wort hatte ihr Schrecken eingejagt. Sie klingelte. Ein Kammerdiener erschien.
    »Meinen Wagen,« sagte sie zu ihm. »Rufen Sie Virginie, ich will mich ankleiden.«
    »Wohin fahren Sie?« fragte du Tillet.
    »Ein wohlerzogener Gatte fragt seine Frau nicht,« antwortete sie, »und Sie beanspruchen doch, sich als Gentleman zu benehmen.«
    »Ich erkenne Sie seit den zwei Tagen nicht wieder, wo Sie Ihre unverschämte Schwester zweimal gesehen haben.«
    »Sie haben mich gelehrt, unverschämt zu sein,« sagte sie. »Ich folge Ihrem Rat.«
    »Ihr Diener, gnädige Frau,« sagte Gigonnet, den diese eheliche Szene wenig reizte.
    Du Tillet blickte seine Frau starr an. Sie blickte ihn ebenso an, ohne die Augen niederzuschlagen.
    »Was bedeutet das?« fragte er.
    »Daß ich kein kleines Kind mehr bin, dem Sie Angst machen können!« erwiderte sie. »Ich bin gegen Sie eine treue und gute Frau und werde es zeitlebens sein. Sie können mein Herr sein, wenn Sie wollen, aber ein Tyrann – nein!«
    Du Tillet ging. Nach dieser Kraftanstrengung kehrte Marie Eugenie niedergeschlagen in ihr Zimmer zurück.
    »Ohne die Gefahr, in der meine Schwester schwebt,« sagte sie sich, »hätte ich ihm nie zu trotzen gewagt. Aber wie das Sprichwort sagt: Jedes Unglück hat auch sein Gutes.«
    In der Nacht überdachte Frau du Tillet noch einmal die Anvertrauungen ihrer Schwester. Da sie Raoul gerettet wußte, stand ihr Geist nicht mehr unter dem Druck dieser drohenden Gefahr. Sie erinnerte sich an die furchtbare Entschlossenheit der Gräfin, als sie sagte, sie wollte mit Nathan fliehen, um ihn über sein Unglück zu trösten, wenn sie es nicht verhindern könnte. Sie begriff, daß dieser Mann ihre Schwester durch ein Übermaß von Dankbarkeit und Liebe bestimmen konnte, etwas zu tun, was die verständige Eugenie für eine Wahnsinnstat hielt. In den höchsten Gesellschaftskreisen waren solche Entführungen neuerdings mehrfach vorgekommen, und der Lohn für ihre ungewissen Freuden bestand in Reue, in der Mißachtung, die jede schiefe gesellschaftliche Stellung mit sich bringt. Eugenie gedachte dieser schrecklichen Folgen. Du Tillets Wort hatte ihren Schrecken bis zum äußersten gesteigert. Sie fürchtete, daß alles herauskäme, sah die Unterschrift der Gräfin von Vandenesse in der Brieftasche des Hauses Nucingen, wollte ihre Schwester anflehen, ihrem Gatten alles zu beichten.
    Frau du Tillet traf die Gräfin nicht zu Hause. Nur Felix war da. Eine innere Stimme rief ihr zu, ihre Schwester zu retten. Vielleicht war es morgen zu spät. Sie nahm viel auf sich, aber sie entschloß sich, dem Grafen alles zu sagen. Würde er keine Nachsicht üben, da seine Ehre noch unangetastet war? Die Gräfin hatte sich doch nur verirrt, sie war nicht verdorben. Eugenie fürchtete zwar, feige und verräterisch zu sein, indem sie diese Geheimnisse preisgab, die von der gesamten Gesellschaft

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