Eine fabelhafte Liebesgeschichte (German Edition)

dem Tiger schwer, diesen bewundernswerten Antrieb zu verstehen. Selbstverständlich war er auch einige Male verreist, doch es war einfach nicht das Gleiche.
    Vor ein paar Jahren trennte sich ihre Familie, was sie dazu brachte ihre Heimat zu verlassen. Die beiden streiften dieses Thema nur nebenbei. Man konnte der Maus anmerken, dass sie nur sehr ungern darüber redete.
    Bei ihrem langen Gespräch war der Tiger meistens der Zuhörer. Man könnte sagen die Maus führte unbewusst ein bisschen Regie. Der Tiger war einfach viel zu aufgeregt und fühlte sich in seiner Rolle auch ziemlich wohl. Generell war er schon immer eher der Zuhörer gewesen. Man könnte ihn als stillen Beobachter beschreiben- andere würden ihn wahrscheinlich einen Träumer nennen. Da war die Maus ganz anders. Sie suchte immer den Blickkontakt und erzählte und erzählte und erzählte. Nach nur kurzer Zeit waren beide sich schon unglaublich vertraut. Sie redeten, als ob sie schon jahrelang befreundet waren.
    Nachdem bereits der dritte Haselnusskaffee leer getrunken war und der Koffein den Tiger schon ganz hibbelig machte, fing die Maus an des Öfteren auf ihre Uhr zu schauen.
    „Es war sehr schön heute!“
    „Das war es wirklich!“
    „Wollen wir uns morgen wieder sehen? Ich würde dir gerne meine Behausung zeigen.“
    „Das klingt gut! Ich werde morgen um die gleiche Zeit auf dich warten!“
    Lächelnd reichten sie sich die Hand. Der Tiger stellte die Konservendose, die beinahe ihre ganze Blattverkleidung verloren hatte, beiseite und nahm die Hand der Maus. Er wollte sich nicht von ihr trennen. So selten hatte er Besuch und noch nie betrat ein so wundervolles Tier seine Höhle. Doch er wird sie morgen wieder sehen. Und so huschte die Maus zurück in ihren Unterschlupf, ohne nach rechts oder links zu schauen. Ein letzter Blick und schon war sie verschwunden. Mit den restlichen Blättern wischte er die Tasse trocken und legte sich dann Müde in seine Lieblingsecke der Höhle.
    Schlaf fand er in dieser Nacht allerdings keinen. Sein liebstes Hobby und größte Stärke verließ ihn in dieser Nacht. Ob es an der wundervollen Begegnung oder den drei Kaffees lag, blieb ein Rätsel.
     

Liebenlernen
    Die Behausung der Maus befand sich sehr versteckt in der Höhle des Tigers. Er war schon eine gefühlte Ewigkeit nicht mehr in diesem Teil gewesen. Ganz früher ließ er dort befreundete Tiere übernachten, irgendwann wurden jedoch seine Freunde erwachsen und die kleine Ecke eindeutig zu schmal für die meisten Besucher.
    „Ich habe diese Ecke hier schon fast vergessen!“ begann der Tiger.
    „Es war ein bisschen verlassen hier, das stimmt! Ich hoffe es macht dir nichts aus, dass ich mich hier ein bisschen eingerichtet habe.“
    „Ganz im Gegenteil!“
    Der Tiger war beeindruckt von diesem Ort.
    „Es sieht alles so anders aus hier!“ sagte der Tiger und blickte rundherum. Es hingen sehr viele Bilder an den Wänden. Teilweise gemalt und teilweise Fotographien anderer Tiere. Diese graue Höhle hatte tatsächlich Farbe bekommen. Neben einem Bild eines großen Elefanten standen dutzende Bücher in einem Regal. Sie waren nach Farbe sortiert. Statt von A bis Z ging es von Weiß über Gelb nach Rot und darüber von Grün über Blau nach Schwarz. Man fühlte die Liebe, die darin steckte. Die Maus liebte es zu lesen und zeigte dies auch in der Art, wie sie ihre Bücher sortierte.
    Die Behausung war nicht gerade ordentlich. Man könnte sogar von durcheinander und vollgestopft sprechen. Viel schöner ist allerdings die Beschreibung „lebendig“!
    An einer anderen Wand hingen weitere Bilder von Vögeln, anderen Mäusen und einem Löwen. Daneben klebten einige Papierschnipsel an der Wand. Es mussten wohl aufgeschriebene Textstellen aus den Büchern sein.
    Ein Schnipsel stach dem Tiger besonders ins Auge. Er war auf gelbem Papier geschrieben und hob sich deutlich von den Anderen ab. Offensichtlich hatte er eine besondere Bedeutung für die Maus.
     

     
    Darunter stand in Druckbuchstaben „Mom“ geschrieben.
    Drei Schnipsel hatte er intensiv gelesen und darüber nachgedacht. Es waren nicht nur Zitate großer Denker, sondern auch Erinnerungen, Erkenntnisse, Beobachtungen, die zu wertvoll waren, um sie nicht festzuhalten. So klein wirken sie und doch steckt eine Welt an Wissen dahinter- Komprimiert auf die Größe weniger Worte.
    „Es ist sehr schön hier.“ sagte der Tiger um die Stille ein bisschen zu lockern. Er war jedoch total von der schönen Behausung