Eine Familie für Julianne
viel diese Familie schon durchgemacht hatte. „Und ganz gleich, was der wirkliche Grund war, für eine Zwölfjährige muss es ein harter Schlag gewesen sein. Kein Wunder, dass sie solche Schwierigkeiten hatte.“
Natürlich hatte auch Victors Verhalten dazu beigetragen. Mit großer Entschlossenheit hatte er damals versucht, wiedergutzumachen, was Robyn als Verrat ihrer Mutter ansah. Selbst Kevin konnte nachvollziehen, dass sie sich ihm immer sturer entzogen hatte, je mehr er sie bedrängte. Aber darauf kamen sie jetzt wohl besser nicht zu sprechen.
„Schauen Sie, Sie wissen über mich nur, was in den Akten steht …“
„Und was meine Tochter erzählt hat.“
„Na ja, Robyn war vielleicht nicht besonders objektiv. Schließlich haben wir uns nicht gerade einvernehmlich getrennt.“
„Er hat recht, Dad“, warf Julianne ein. „Du weißt, wie geschickt Robyn darin war, sich die Wahrheit nach ihren Wünschen zurechtzudrehen.“ Zu Kevin gewandt, fuhr sie fort: „Es stimmt, dass sie nie über Mutters Selbstmord hinweggekommen ist …“
„Julie, das geht ihn überhaupt nichts an.“
„Doch“, erwiderte sie überraschend fest. „Ob es dir gefällt oder nicht, durch Pippa gehört Kevin zur Familie. Und er sollte genauso viel über Robyn wissen wie wir. Vor allem, wenn er Pippa mit nach Massachusetts nimmt.“
War das Mädchen völlig verrückt? Wieso verteidigte sie ihn?
„Selbst in ihren guten Zeiten war Robyn nicht besonders objektiv. Nachdem Mom gestorben war …“ Julianne seufzte. „Sie war noch ein Kind. Und ganz gleich, wie oft wir ihr sagten, dass Mom krank gewesen war, dass es nicht an uns gelegen hatte – sie hat uns nie geglaubt. Natürlich hat es auch nicht geholfen, dass Mom ihr noch einen Tag vorher versprochen hatte, ganz allein mit ihr zu verreisen.“
Kevin stöhnte auf.
„Ja, ziemlich übel. Wie kann man ein Kind überzeugen, so etwas nicht persönlich zu nehmen?“
Und wie bist du damit klargekommen?, fragte sich Kevin.
„Von da an hat sie jedenfalls bei jeder Kleinigkeit völlig überreagiert. Und sie konnte es später nicht ertragen, wenn ein Mann eine Liebesbeziehung beendete und nicht sie.“
Stirnrunzelnd sah sie Kevin an. „Auch wenn Sie gute Gründe hatten, sie zu verlassen – für Robyn waren Sie damit ein Feind. Sie haben also absolut recht, wir sollten nicht zählen, was sie gesagt hat.“
Kevin nickte, dann sagte er zu Victor: „Ich kann verstehen, wie schwer das hier für Sie ist. Sie kennen weder mich noch meine Familie, die unter meinen Verhalten übrigens genauso gelitten hat wie Sie unter Robyns. Wenn sie auch nur den Verdacht hätten, dass ich in alte Gewohnheiten verfalle, würden sie mir das Baby selbst wegnehmen, glauben Sie mir. Wir haben keine schicken Häuser oder teuren Autos, und alle Kinder gehen auf öffentliche Schulen, aber …“
Seine Augen brannten. „Aber sie haben mich nie aufgegeben, selbst, als ich ganz unten war. Wissen Sie, was mein Vater immer gesagt hat? ‚Wenn ein Kind schmutzig nach Hause kommt, dann wirft man es nicht weg, sondern wäscht es.‘ Irgendetwas sagt mir, dass Sie da einer Meinung sind.“
Nach einer sehr langen Pause atmete Victor seufzend aus. „Stimmt“, sagte er. Dann verhärteten sich seine Gesichtszüge wieder. „Aber woher soll ich wissen, dass das nicht alles gelogen ist?“
Kevin lachte trocken. „Also wissen Sie, für jemanden, der in seinen Büchern Verzeihen und Heilung predigt, sind Sie selbst aber nicht besonders gut darin.“
Einen Moment lang wirkte Victor betroffen, dann sagte er kühl: „Zehntausend.“
„Wie bitte?“
„Zehntausend Dollar. Wenn Sie noch einen Monat hierbleiben, und zwar in diesem Haus. Damit ich sehen kann, ob Sie sich wirklich verändert haben.“
„Dad!“
„Es war doch deine Idee, Juliekäferchen“, sagte Victor, und Kevin stand einfach nur baff dabei.
„Verzeihen Sie“, warf er ein, als er sich vom ersten Schreck erholt hatte, „aber ich muss Ihnen nichts beweisen. Schon gar nicht, nachdem Sie mir meine Tochter vorenthalten wollten …“
„Zwanzigtausend“, erwiderte Victor entschlossen. „Ich werde die Summe am Ende des Monats auf Ihr Konto überweisen. Wenn Sie einen Monat hierbleiben.“
Ungläubig starrte Kevin ihn an. „Ich kann nicht fassen, dass Sie meine Tochter kaufen wollen.“
„Herrgott, halten Sie mich für blöd? Das Einzige, was ich ‚kaufen‘ will, ist ein Monat Ihrer Zeit. Um sicherzugehen, dass Pippa bei Ihnen in guten
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