Eine Familie für Julianne
Ihnen werde ich allerdings nicht schlau.“
Julianne zuckte zusammen. „Aus mir?“
„Ja. Sie wollen Pippa ja auch nicht hergeben, aber trotzdem verteidigen Sie mich ständig. Und obwohl es Ihre Idee war, haben Sie ziemlich geschockt ausgesehen, als Ihr Vater vorher seinen kleinen Deal vorschlug. Offenbar sind Sie nicht begeistert von der Aussicht, mit mir unter einem Dach zu leben.“
Nicht begeistert ist gar kein Ausdruck, dachte sie, und sagte laut: „Ich bin hin- und hergerissen. Ich habe Sie verteidigt, weil Dad vor lauter Trauer um Robyn einfach die Realität nicht sieht. Er will unbedingt jemandem die Schuld geben, und da kamen Sie gerade recht. Aber nur, weil ich im Zweifel für den Angeklagten spreche, heißt das nicht, dass Sie aus dem Schneider sind. Noch lange nicht.“
Ärgerlicherweise grinste Kevin wieder. „Kapiert“, sagte er, dann stieg er ein, schlug die Tür zu und fuhr davon. Erst als sein Wagen um die nächste Ecke gebogen war, bemerkte Julianne, dass sie ihm hinterherstarrte.
Hastig wandte sie sich ab und ging wieder ins Haus. Ihr Vater saß in seinem Arbeitszimmer am Computer. Er hasste es, bei der Arbeit gestört zu werden, aber das war ihr gerade egal.
„Meine Güte, Dad“, sagte sie und ließ sich in den Sessel gegenüber des Schreibtischs fallen. „Hättest du mich nicht wenigstens vorwarnen können? Zwanzigtausend? Du musst verrückt sein. Warum sollte Kevin Pippa jetzt noch bei uns lassen?“
Ihr Vater nahm die Brille ab und rieb sich die Augen. Als er antwortete, wirkte er resigniert. „Er hat recht. Solange er nicht rückfällig wird, haben wir keine Chance in einem Sorgerechtsstreit. Aber immerhin besteht die Möglichkeit, dass deine Idee funktioniert. Dass er in dem Monat erkennt, dass sie bei uns besser aufgehoben ist.“
Also war ihr Vater wirklich verzweifelt. So hatte sie ihn noch nie erlebt, nicht einmal nach dem Tod ihrer Mutter. „Darauf würde ich nicht wetten“, sagte Julianne mutlos.
„Tue ich auch nicht. Aber wenigstens gewinnen wir etwas Zeit. In einem Monat kann viel passieren, Juliekäferchen.“
Sie begriff, was er meinte. „Du rechnest damit, dass er rückfällig wird?“
„Weißt du, wie hoch die Quote ist?“
„Ja. Aber wie kommst du darauf, dass ausgerechnet Kevin es nicht schafft?“ Und wieso verteidigte sie ihn immer noch? „Er ist schon seit über einem Jahr trocken. Und jetzt, mit Pippa … Mach dir keine zu großen Hoffnungen, Dad, sonst wirst du schrecklich enttäuscht sein.“
Ihr Vater verzog schmerzlich den Mund. „Wir haben auch bei Robyn gedacht, dass sie außer Gefahr wäre. Dass sie um ihres Kindes willen clean bleibt. Und du weißt ja, wie das ausgegangen ist.“
Julianne ließ die Worte auf sich wirken, dann stand sie auf und ging zur Tür. „Komisch, wenn du mit Kevin recht hast, wäre das ja auch nicht gerade schlecht für mich. Trotzdem finde ich es ziemlich schrecklich, herumzusitzen und darauf zu warten – oder sogar zu hoffen –, dass er rückfällig wird. Er hat etwas an sich …“ Sie schüttelte den Kopf. „Er ist nicht Robyn.“
„Er kann gut reden, Schatz, aber deshalb muss er dir nicht leidtun.“
„Er tut mir nicht leid! Ehrlich gesagt weiß ich nicht einmal, ob ich ihn wirklich mag. Aber für mich ist er eben nur ein Mann, der versucht, seine Fehler wiedergutzumachen und sich um sein Kind zu kümmern. Er ist nicht der leibhaftige Teufel, für den du ihn zu halten scheinst!“
„Juliekäferchen …“
„Und hör verdammt noch mal endlich auf, mich so zu nennen! Ich bin doch kein Kind mehr!“
Sie starrte einen Moment wütend in sein versteinertes Gesicht, dann ging sie hinaus.
Kevin ließ seine Reisetasche auf einen karierten Sessel in Victors Gästezimmer fallen. Das Zimmer war nett, aber unpersönlich eingerichtet, sodass er sich fast wie in einem besseren Hotel vorkam. Immerhin hatte er ein Doppelbett mit einer dicken Matratze, was den harten Futon in Felix’ Wohnzimmer um Längen schlug.
Kevin öffnete die Tasche und packte seine T-Shirts und Jeans in die oberste Schublade der großen Kommode.
„Hier.“
In der Tür stand Julianne mit Bettwäsche, den Labrador wie immer an ihrer Seite.
„Danke.“ Er ging über den dicken Teppich auf sie zu und nahm ihr den Stapel ab. In Juliannes Augen konnte er deutlich ihre widerstreitenden Gefühle lesen, aber darüber wollte er jetzt gar nicht nachdenken. Es reichte ihm schon, einen Monat lang unter strenger Beobachtung ihres Vaters zu
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