Eine Familie für Julianne
fragte Julianne, auf einmal etwas missmutig.
„Er traut mir nicht.“
Julianne schaute Kevin von der Seite an. „Dann müssen Sie sich sein Vertrauen verdienen.“
„Das versuche ich doch schon seit zwei Wochen.“
Julianne, die darauf keine Antwort wusste, schwieg.
„Ich habe gehört, Sie haben Ihr Haus in Seattle verkauft?“, fragte Kevin nach einer Weile.
Julianne nickte. Sie hatte es nach ihrem Umzug an Freunde vermietet, die sie schon öfter gefragt hatten, ob sie es nicht kaufen könnten. Vor ein paar Tagen hatte sie endlich nachgegeben.
„Und was haben Sie jetzt vor?“, wollte Kevin wissen. „Möchten Sie für immer bei Ihrem Vater wohnen bleiben?“
Am liebsten hätte sie entgegnet: „Was geht Sie das denn an?“, entschied sich aber für die friedlichere Variante. „Das Haus ist groß genug für uns beide. Es wäre irgendwie dumm, noch eine extra Wohnung zu unterhalten. Allein die Energiekosten …“
„Aha, Sie denken dabei also an die Umwelt.“
„Sie glauben mir nicht?“
Kevin grinste breit. „Ich lasse das mal gelten. Ihr Vater hängt wohl sehr an dem Haus?“
Immerhin ein akzeptabler Themenwechsel. „Seine Eltern haben es in den Fünfzigern gebaut, und er hat fast sein ganzes Leben dort gewohnt.“
„Auch, als er in New York beim Frühstücksfernsehen war?“
„Die meisten Folgen sind hier abgedreht worden, und wenn er doch mal ins Studio musste, hat er dort bei Freunden übernachtet. Es kommt Ihnen vielleicht komisch vor, dass er an dem Haus hängt, in dem so viele tragische Dinge passiert sind. Aber Dad verbindet auch viele schöne Erinnerungen damit. Meine Großeltern waren wunderbar. Warmherzig und witzig. Sie haben mit im Haus gelebt, als ich klein war. Und meine Hochzeitsfeier hat hier stattgefunden …“
Sie verstummte.
„Tut mir leid.“
„Wieso denn? Das Fest hat viele der bösen Erinnerungen vertrieben. Und schließlich kann das Haus ja nichts dafür, oder?“
„Nein“, sagte Kevin leise.
„Ich weiß, das klingt blöd, aber im Moment ist es unser sicherer Hafen. Außerdem braucht mich Dad. Und ich fühle mich so zu etwas nütze.“
„Aber was ist mit Ihrem eigenen Leben?“
„Sie kapieren es einfach nicht, oder? Das hier ist mein Leben. Und ob Sie es glauben oder nicht, es ist okay für mich.“
„Wenn Sie es sagen.“
„Tue ich, verdammt noch mal!“
„Ein bisschen lauter, Süße – in Santa Fe hat man Sie nicht gehört.“
„Sie sind unmöglich.“
„Aber immerhin habe ich Sie noch nie so lebendig gesehen, seit ich hier angekommen bin.“
Wie erstarrt blieb Julianne stehen. „Was?“
„Als wir uns das erste Mal begegnet sind, sahen Sie aus wie ein Zombie“, erklärte Kevin über die Schulter. „Wenn das ‚okay‘ war, dann möchte ich nicht wissen, wie Sie ausgesehen haben, als es Ihnen schlecht ging.“
Julianne ging schneller, um ihn wieder einzuholen. „Sie haben mich absichtlich wütend gemacht.“
„Und das war nicht sehr schwer, oder? Schauen Sie“, fügte er sanfter hinzu, „ich kann mir vorstellen, wie Sie sich fühlen. Sie haben viel durchgemacht. Aber es macht mich ganz fertig, zuzusehen, wie jemand in seinem Kummer feststeckt. Und diesmal kann ich mich nicht einfach abwenden und so tun, als wäre es nicht mein Problem.“
Wie ich es bei Robyn getan habe , las sie in seinem Blick.
„Ich war selbst am Boden, Julianne“, fuhr er fort. „Ich weiß, wie schrecklich es sich anfühlt. Und dass es manchmal einfacher erscheint, aufzugeben, statt sich einen Ruck zu geben. Und …“
„Was?“, fragte Julianne, als er nicht weitersprach.
„Sie schlagen mich, wenn ich es sage.“
„Und wenn Sie es nicht sagen, auch. Also los!“
„Na ja, es ist nur … wenn Sie so kühl sind …“
„Bin ich ja gar nicht!“
„Doch. Nicht immer, aber es ist wie in einem Minenfeld. Alles läuft prima, und auf einmal … bumm. Aber was ich eigentlich sagen wollte – wenn Sie so kühl sind, ist es so, als ob Sie jemand anderen spielen. Dann sind Sie nicht die Julianne, die ich kenne.“
„Das ist ganz schön stark für jemanden, der mich eigentlich überhaupt nicht kennt, oder?“, entgegnete sie kühl.
„Sie waren Sie selbst, als wir beim Essen waren. Aber seitdem nicht mehr. Und bei Ihrem Vater oder Pippa sind Sie ja auch nicht kühl. Nur bei mir.“
„Nur, weil Sie mich durcheinanderbringen“, erwiderte Julianne und wünschte sich sofort, sie hätte nichts gesagt.
„Inwiefern?“
„Weiß ich nicht genau, deshalb
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