Eine fast perfekte Lüge
aus“, stöhnte Macie und schlug ihre Hände vors Gesicht.
„Sie dürfen jetzt nicht aufgeben“, sagte Carl. „Nicht, nachdem wir so weit gekommen sind.“
Macie versuchte sich zu beruhigen, indem sie durch das Fenster zum Horizont schaute. Im Osten zeigte sich bereits ein schwacher Lichtschimmer. „Bald geht die Sonne auf“, sagte sie.
„Ein neuer Tag“, gab Carl zurück. „Also denken Sie positiv.“
Sie nickte, aber irgendetwas lag ihr wie ein Stein im Magen.
Ruger drehte sich um. „Miss Blaine, wenn wir unten sind, möchte ich Sie um etwas bitten.“
„Was immer Sie wollen.“
„Bleiben Sie mit dem Piloten im Hubschrauber.“
„Ja, natürlich. Ich bin nicht so töricht zu glauben, ich könnte in dieser Situation etwas beitragen, aber Sie müssen mir versprechen, dass Sie mir so bald wie möglich … ich muss wissen, ob …“
„Machen Sie sich darüber keine Gedanken“, entgegnete Ruger.
Macie lehnte sich in dem Sitz zurück und schloss die Augen.
Ruger nahm an, dass sie betete. Und sie konnten weiß Gott jede Hilfe brauchen. Als er das Beben in ihrer Stimme gehört hatte, war an die Stelle seiner Verärgerung Verständnis getreten. Die vergangenen Tage waren für alle schwer gewesen, aber für sie besonders. Immerhin war ihre Familie betroffen. Natürlich wünschte sie sich verzweifelt zu wissen, ob Jonah und Evan noch am Leben waren.
Er schaltete das Funkgerät im Cockpit an und erkundigte sich, wann er mit der angeforderten Verstärkung rechnen könne. Schließlich erfuhr er, dass einer der Hubschrauber weniger als zehn Minuten von ihnen entfernt war und der andere weniger als fünf. Das war gut. Sie würden fast zur gleichen Zeit bei dem alten Armeestützpunkt landen.
Das rhythmische Dröhnen der Propeller war wie ein Puls. Während er mit dem Finger zärtlich über die Klinge seines Messers fuhr, malte Calderone sich aus, dass dieser Puls im Gleichschritt mit seinem eigenen pochte. Er umfasste das Messer fest, aber liebevoll – so liebevoll, wie er Elena umfasste, wenn er Liebe mit ihr machte. Das Metall war warm, die Klinge scharf wie eine Rasierklinge. Als er sich ausmalte, wie dieser blitzende Stahl Fleisch, Muskeln und Sehnen durchtrennte, rieselte ihm ein wohliger Schauer über den Rücken. Mit bebenden Nasenflügeln und geschlossenen Augen lauschte er dem Rauschen des Blutes in seinen Ohren. Töten war für Calderone wie ein Liebesakt. Es machte für ihn keinen Unterschied, ob er mit seinem Glied in den Körper einer Frau oder mit einem Messer in den Körper eines Menschen eindrang. Er war süchtig nach dem, was er dabei fühlte, nach dem Gefühl, Herr über Leben und Tod zu sein, Leben entweder geben oder nehmen zu können. Er spürte Elenas Hand auf seinem Oberschenkel und ihren Atem an seiner Wange, als sie ihm etwas ins Ohr flüsterte.
„Wir sind gleich da, Geliebter.“
Tief durchatmend öffnete er die Augen. Bald würde die Sonne aufgehen. Die Nacht begann bereits langsam dem Tag zu weichen, das Licht warf Schatten, wo eben noch tiefe Dunkelheit geherrscht hatte.
„Da! Siehst du es? Am Horizont tauchen schon die Dächer auf.“
Calderones Miene gab nichts von seinen Gefühlen preis. Doch dann fuhr er abrupt herum und packte Elena an den Haaren. Er riss sie brutal zu sich heran und presste seinen Mund auf ihren. Obwohl es scheußlich wehtat, genoss Elena den Gedanken, dass sie ihrem Miguel etwas gab, was ihm keine andere Frau geben konnte. Genauso wie er fühlte auch sie sich erst von Schmerzen richtig erregt. Als sie sich ausmalte, wie leidenschaftlich er sein würde, nachdem er Vergeltung geübt hatte, erschauerte sie vor Verlangen.
So abrupt, wie er sie an sich gerissen hatte, ließ er sie wenig später wieder los. Als der Hubschrauber langsam nach unten schwebte, spielte um seine Lippen ein böses Lächeln. „Wer kann das sein? Wer kommt da?“ fragte Evan.
Jonah wollte nicht lügen. Ihrer beider Leben hing davon ab, dass der Junge in der Lage war, schnell zu reagieren.
„Ich weiß nicht“, erwiderte er. „Aber egal, wer es auch ist, du musst mir eins versprechen. Wenn ich sage renn, dann rennst du, hast du mich verstanden? Und zwar ohne dich umzusehen.“
Das hoffnungsvolle Leuchten in Evans Augen erlosch.
„Evan?“
„Ich habe dich verstanden“, sagte der Junge.
Als Jonah seinem Sohn die Hände auf die Schultern legte, spürte er, wie mager sie waren, aber er wusste, dass in Evans Brust ein mutiges Herz klopfte. „Würdest du das für mich
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