Eine fast perfekte Lüge
den ersten Stock, wo er sämtliche Zimmertüren aufriss, das Licht anknipste und brüllte: „Aufstehen! Aufstehen!“ Wenig später war das ganze Haus in Aufruhr. In der Annahme, dass sie angegriffen wurden, stürzten aus allen Zimmern Männer mit gezogenen Pistolen, aber sie trafen nur auf Calderone, der seine Befehle brüllte. „Zieht euch an. Wir müssen sofort los.“
Jaime Avila, ein Mann von minderen Geistesgaben, nahm fälschlicherweise an, dass Calderone aufgrund der Nachwirkungen des Giftes noch verwirrt wäre. „Bitte,
Padrone“
, sagte er beschwichtigend, „Sie sollten sich noch ausruhen.“
Calderone hob wortlos seine Pistole und jagte ihm eine Kugel in die Brust. Die Männer keuchten und erstarrten vor Entsetzen, als Avila in sich zusammensackte und gleich darauf mit einem dumpfen Geräusch zu Boden fiel.
„Tut, was ich euch sage!“ brüllte Calderone. „Ich muss bei Tagesanbruch beim Stützpunkt sein, sonst ist es zu spät.“ Dann deutete er auf den Mann am Boden. „Schafft ihn weg. Leute, die an mir zweifeln, kann ich nicht brauchen.“
Da keiner der Männer Lust hatte, das gleiche Schicksal wie Jaime zu erleiden, überschlugen sie sich fast, um Calderones Befehl auszuführen.
Knapp eine Stunde später war Calderone in der Luft. Er schaute auf seine Uhr. Zehn Minuten vor fünf. Wenn sie am Ziel waren, würde es bereits heller Tag sein, für seine Zwecke genau das Richtige. Er konnte es kaum erwarten, das Entsetzen in Jonahs Slades Gesicht zu sehen, wenn er seinem Sohn das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust riss.
Sie waren inzwischen seit fast zwei Stunden in der Luft, ohne dass sich auf dem Monitor etwas gerührt hatte. Ruger presste die Lippen zusammen und schwieg. Auf Carl French’ Stirn hatte sich ein feiner Schweißfilm gebildet.
Nur Macie, die neuen Mut geschöpft hatte, erschien das alles unwichtig. Sie war überzeugt davon, dass sie eine zweite Chance bekommen hatte. Sie konnte einfach nicht glauben, dass Gott so grausam sein würde und ein zweites Mal die Menschen auslöschte, die sie liebte. Und wenig später kam ein Anruf von Agent Sugarman, der sie in ihrem Glauben bestärkte.
„Er lebt? Wo habt ihr ihn gefunden? Kann er reden? Prima Mann“, sagte Ruger, dann schnappte er sich einen Stift und notierte sich einige Richtungsanweisungen. „Großartig! Ja, ich hab’s! Schickt so bald wie möglich die anderen Hubschrauber los. Ich habe keine Ahnung, wie viel Verstärkung wir brauchen, aber diesmal gehe ich auf Nummer sicher.“
Macie packte Ruger an der Schulter.
„Was ist los?“
Die Neuigkeiten hatten Ruger in gute Laune versetzt, sodass er sich tatsächlich ein Lächeln abrang. „Sie haben McAllister gefunden.“
„Lebt er?“ fragte Carl.
„Ja. Er ist ziemlich durch den Wind, aber er hat immer wieder dieselben Zahlen wiederholt. Sugarman hat auf einer Luftkarte nachgesehen. Es sind die Koordinaten eines alten Armeestützpunkts an der Küste.“
Macies Finger krallten sich in Rugers Jackett. „Wie weit sind wir davon entfernt?“
Der Agent schaute auf den Piloten, der sich an seinem Instrumentenbord zu schaffen machte, dann warf er Carl einen Blick zu, wobei er sich fragte, wie sie die Stelle hatten übersehen können.
„Wir waren zu weit im Inland. Es ist dreißig Minuten weiter nördlich“, sagte Carl.
Ruger gab sich mit Carls Erklärung zufrieden und nickte. Dreißig Minuten. Macie wusste, dass in so einer Zeitspanne alles passieren konnte.
„Bitte“, sagte sie. „Bitte, beeilen Sie sich.“
Ruger konnte ihre Panik nachfühlen. „Ja, Ma’am.“
Der Hubschrauber drehte nach rechts ab und begann dieselbe Strecke, die sie gerade gekommen waren, zurückzufliegen, diesmal jedoch dichter an der Küste.
Draußen auf dem Flur erklangen Schritte, und gleich darauf sickerte unter der Tür ein schmaler Lichtstreifen hindurch. Jonah setzte sich vor seinen Sohn auf das Fußende der Pritsche, um Evan vor denen zu schützen, die gleich zur Tür hereinkommen würden.
Jetzt hörte man, wie sich ein Schlüssel im Schloss drehte, und eine Sekunde später standen die beiden Männer, die Jonah hergebracht hatten, mit ihren Gewehren im Anschlag in der Tür. Sie wirkten überrascht, dass er so nah an der Tür war, und wichen vorsichtshalber ein wenig zurück.
„Los, vom Bett weg!“ befahl der eine.
Jonah stand auf. „Erst wenn diese Gewehre nicht mehr auf meinen Sohn zielen.“
Die beiden Männer verständigten sich mit Blicken. Auch wenn es nicht danach
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