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Eine fast perfekte Lüge

Eine fast perfekte Lüge

Titel: Eine fast perfekte Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dinah McCall
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töten? Weshalb hatten sie ihn dann erst hierher verschleppt?
    Evan schaute wieder auf das Tablett, dann griff er nach dem angeknabberten Apfel und roch daran. Er duftete frisch und appetitlich. Der Wunsch hineinzubeißen war fast überwältigend. Wahrscheinlich würde es gar nicht schwer sein, einfach aufzugeben, nachdem er jetzt ganz allein auf der Welt war. Doch dann fiel ihm seine Tante Macie ein. Er überlegte, wie es ihr wohl gehen mochte und ob man ihr auch etwas angetan hatte.
    Er legte den Apfel wieder zurück und angelte sich die Wasserflasche, die die Ratte bei ihrem Beutezug umgeworfen hatte. Eingehend untersuchte er sie und fuhr mit den Fingern über die Verschlusskappe, um herauszufinden, ob sie bereits geöffnet worden war. Als er sah, dass das Siegel unbeschädigt war, fühlte er sich wie im siebten Himmel. Sein Durst überstieg seinen Hunger noch, und als er das leise Knacken hörte, das beim Erbrechen des Siegels entstand, spürte er fast so etwas wie Euphorie in sich aufsteigen.
    Das Wasser, das ihm durch die Kehle rann, war lauwarm, aber Evan hätte sich im Moment nichts Köstlicheres vorstellen können. Erst nachdem er bereits über die Hälfte getrunken hatte, schwante ihm, dass es vielleicht alles war, was er in nächster Zeit bekommen würde. Deshalb ließ er die Flasche jetzt widerstrebend sinken, schraubte sie wieder zu und stellte sie neben seine Pritsche auf den Fußboden. Dann streifte er die stinkende Klozelle mit einem angewiderten Blick, weil er spürte, dass ihm nichts anderes übrig bleiben würde, als ihr einen weiteren Besuch abzustatten.
    Doch dann gestaltete sich das Aufknöpfen seiner Hose so schwierig, dass er den Gestank vergaß. Seine Fingerspitzen pochten höllisch, und seine Hände waren stark angeschwollen und schmerzten so sehr, dass er sie kaum benutzen konnte.
    Als er seine Jeans endlich geöffnet hatte, bluteten seine Fingerspitzen, und er zitterte vor Schmerz. Nachdem er sich erleichtert hatte, beschloss er, die Hose ganz auszuziehen. Er warf sie aufs Fußende der Pritsche und behielt nur seine dunkelblauen Boxershorts an. An seinen Beinen entdeckte er mehrere Blutergüsse, aber er konnte sich nicht erinnern, woher sie stammten. Neugierig, ob sein Oberkörper ebenso aussah, zog er sich sein T-Shirt über den Kopf, doch auf seinem Brustkorb war nichts zu entdecken, dafür aber ein paar kleinere blaue Flecke auf den Armen. Die hatte er sich wahrscheinlich zugezogen, als sie ihn aus dem Haus in den Van geschleppt hatten.
    Zuerst wollte er sein T-Shirt wieder anziehen, doch dann überlegte er es sich anders und warf es neben seine Jeans auf die Pritsche. In dem Raum war es warm und stickig, also würden die Boxershorts genügen. Heute Nacht zum Schlafen könnte er das T-Shirt ja wieder anziehen – vorausgesetzt, er lebte dann noch.
    Als sein Magen knurrte, schaute er sehnsüchtig auf das Tablett und stellte überrascht fest, dass die Ratte wieder halbwegs zum Leben erwacht war und sich zu einem Loch im Boden schleppte. Das bedeutete, dass in dem Essen kein Gift, sondern wahrscheinlich nur ein Betäubungsmittel gewesen war, aber das änderte nichts. Er war entschlossen, nichts zu tun, wodurch er sich noch hilfloser machte, als er es ohnehin schon war. Er schaute zu, wie die Ratte fast kopfüber in das Loch hineinfiel, dann setzte er sich wieder auf die Pritsche und zog seine Knie bis ans Kinn hoch. Er wollte nicht an seinen Vater denken. Er konnte es sich nicht leisten zu hoffen, dass dieser irgendwie herausfand, was passiert war und ihn rettete. Und so saß er einfach nur da und wartete, dass die Zeit verging, bis er irgendwann zur Seite sank und einschlief.
    Im Traum erschien ihm sein Vater, trat Türen ein und zerrte ihn ins Freie. Als er aufwachte, war er in Schweiß gebadet, und in dem Raum war es so heiß, dass er kaum Luft bekam. Er wusste nicht, wie lange er geschlafen hatte, aber das Tablett mit dem angeknabberten Essen war verschwunden. Dafür standen jetzt auf dem Boden neben der Pritsche zwei Dosen.
    Bei der Vorstellung, dass jemand unbemerkt bei ihm gewesen war und ihn im Schlaf beobachtet hatte, lief es ihm eiskalt über den Rücken, doch da sein Hunger größer war als sein Widerwille, streckte er die Hand nach den Dosen aus. In einer Dose waren Pfirsiche und in der anderen Würstchen. Heißhungrig machte er sich zunächst über die Würstchen her und angelte sich mit spitzen Fingern eins nach dem anderen aus der Dose, die in weniger als einer Minute leer

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