Eine fast perfekte Lüge
wehgetan hatte zu sterben. Felicity hatte Schmerzen noch nie gut aushalten können.
Gott … das war ein Albtraum
.
Nachdem sie sich mit zitternder Hand die Tränen abgewischt hatte, legte sie den Eisbeutel auf dem Nachttisch ab. Der Schmerz in ihrem Kopf hatte ein wenig nachgelassen, sodass sie nur noch ein dumpfes Pochen verspürte. Wenn doch bloß der Schmerz in ihrem Herzen auch nachlassen würde.
Als sie draußen auf dem Flur Schritte hörte, hob sie den Kopf. Gleich darauf betrat Jonah das Zimmer.
„Was ist denn los?“ fragte er und klang beinahe ungehalten.
Ihr kam die Frage fast absurd vor. Ein hysterisches Lachen stieg in ihr auf, drohte sich Bahn zu brechen. „Warum fragst du?“
„Rosa kam weinend aus deinem Zimmer.“
Macie seufzte. „Ach, das … ich habe mit dem Bestattungsinstitut telefoniert. Felicity wollte verbrannt werden. Ich war … ich musste …“
„Schon gut“, fiel Jonah ihr ins Wort. „Ich verstehe.“
In diesem Moment verlor Macie die Beherrschung und ließ ihren Tränen freien Lauf. „Wie schön für dich“, schluchzte sie. „Ich wünschte, ich könnte von mir dasselbe sagen. Aber ich verstehe gar nichts.“
Jonah sah sie bestürzt an. „Verdammt … hör auf damit.“
„Aufhören? Womit soll ich aufhören? Was habe ich denn gemacht?“ Macie war so außer sich vor Verzweiflung, dass sie fast schrie.
„Es an mir auszulassen.“
An die Stelle ihrer Verzweiflung trat jetzt Beschämung. Angewidert von sich selbst, verzog Macie das Gesicht. Natürlich hatte er Recht. Als sie die Hand nach ihm ausstreckte, wich er einen Schritt zurück, und sie zog sich entmutigt wieder zurück. Mit ihren unbedachten Worten hatte sie offenbar den prekären Waffenstillstand, den sie geschlossen hatten, zerstört.
„Jonah … bitte … es tut mir Leid“, sagte sie. „Das kommt alles nur, weil … weil … oh Gott, das ist alles ein Albtraum. Es macht mich ganz krank.“
Jonah weigerte sich, sie anzusehen – er konnte es einfach nicht. Jedenfalls nicht, ohne schwach zu werden. Es fiel ihm von Minute zu Minute schwerer, von Macie Blaine Abstand zu halten. Ihre Schwester war eine schöne Verräterin gewesen. Durch Macies Adern floss dasselbe Blut. Er durfte jetzt nicht den Kopf verlieren und musste sich ganz und gar auf die Suche nach seinem Sohn konzentrieren. Nichts anderes zählte mehr.
„Ja, klar. Vergiss es.“
Sein emotionsloser Ton sagte alles. Ein paar unbedachte Worte von ihr hatten genügt, das zarte Pflänzchen ihrer Beziehung zu zerstören. Obwohl sie ihn im Moment mehr als alles andere in ihrem Leben brauchte.
„Jonah, ich …“
Er wich noch einen Schritt zurück. „Ich muss ein paar Anrufe machen.“
„In einer Stunde gibt es Abendessen.“
Er suchte nach einer Ausrede, aber es gab keinen Weg, dieser Situation zu entfliehen. Er lebte mit ihr unter einem Dach. Und er musste essen. Mit ihr. „In Ordnung.“
„Jonah?“
Als er das Zittern in ihrer Stimme hörte, drehte er sich widerwillig um und sah sie an.
„Sei mir nicht böse, bitte.“
Die Tränen in ihren Augen waren zu viel für ihn. „Ich bin dir nicht böse, Honey“, sagte er sanft. „Ich bin nur böse auf das, was passiert ist, okay?“
„Stimmt das wirklich?“
Er musste sich fast ein Lächeln verkneifen. „Ja.“
„Sehen wir uns dann beim Essen?“
„Ja … bis später“, sagte er, dann beeilte er sich, in sein Zimmer zu kommen. Es war höchste Zeit, den Chef anzurufen und ihn um einen Gefallen zu bitten. Vorausgesetzt natürlich, er hatte gute Laune.
Es wurde langsam dunkel. Das einzige Möbelstück in dem Raum, in dem Evan gefangen gehalten wurde, war eine Art Pritsche. Die Matratze war alt und schmutzig, wenn auch nicht ganz so schmutzig wie der Fußboden. Nachdem er stundenlang auf und ab gelaufen war und immer wieder erfolglos versucht hatte, die Bretter am Fenster abzureißen, war Evan hungrig – auch wenn es ihn erstaunte, dass ihm bei dem, was er durchgemacht hatte, nicht der Appetit vergangen war. Er hatte richtiggehend Heißhunger und so einen brennenden Durst, dass er es sogar wagte, seine Entführer zu verärgern, indem er mit beiden Fäusten gegen die Tür hämmerte.
„He“, brüllte er. „Ich will Wasser!“
Er wartete einen Moment, dann wiederholte er seine Forderung, noch lauter diesmal. Innerhalb weniger Sekunden ging die Tür auf. Überrascht taumelte Evan zurück und stolperte, dann setzte er sich unsanft auf den Hosenboden. Als er aufschaute und sich
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