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Eine fast perfekte Lüge

Eine fast perfekte Lüge

Titel: Eine fast perfekte Lüge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dinah McCall
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einem bewaffneten Mann gegenübersah, kam er sich idiotisch und verwundbar vor.
    „Du hältst auf der Stelle die Klappe“, befahl der Mann und bohrte Evan den Lauf seines Sturmgewehrs in den Bauch.
    „Ich bin aber hungrig, und Durst habe ich auch“, murmelte Evan kleinlaut.
    Der Mann schnaubte verächtlich. „Du hast vielleicht Sorgen. Du bist doch sowieso schon so gut wie tot.“
    Einen Moment lang war Evan so eingeschüchtert, dass er keinen Ton herausbekam. Aber dann erinnerte er sich an das, was sie mit seiner Mutter und seinem Großvater gemacht hatten. Voller Wut sprang er so abrupt auf, dass sein Bewacher überrumpelt einen Schritt zurückwich.
    Evan stellte sich mit ausgebreiteten Armen vor ihn hin und schrie: „Wenn du mich abknallen willst, dann tu’s doch. Meine übrige Familie habt ihr sowieso schon umgebracht, worauf wartest du also noch?“
    Der Bewaffnete drückte Evan wieder das Gewehr in den Bauch.
    „Wir warten auf deinen
padre
. Setz dich“, befahl er und deutete auf die Pritsche.
    Evan runzelte die Stirn. „Ich bin nicht katholisch. Was hat ein Priester damit zu tun?“
    „Nein, nein. Dein Vater … kein Priester.“
    Die Bemerkung kam Evan so lächerlich vor, dass er laut herauslachte.
    Das war das Letzte, womit der Bewacher gerechnet hatte. Er versetzte dem Jungen mit dem Gewehrkolben einen harten Schlag gegen den Unterkiefer. Als Evan diesmal hinfiel, stand er nicht wieder auf.
    „Lach ruhig weiter“, sagte der Mann.
    Evan, der auf der Zunge Blut schmeckte, unterdrückte ein Aufstöhnen. Vorsichtig betastete er seinen Unterkiefer und zuckte zusammen, als er versuchte, den Mund zu öffnen. Doch sobald er ihn offen hatte, konnte er nicht widerstehen hinzuzufügen: „Gut. Aber das ändert trotzdem nichts an der Tatsache, dass mein Vater nicht mal weiß, dass ich existiere. Wir könnten uns auf der Straße begegnen und würden uns nicht erkennen.“
    „Du lügst“, sagte der Mann und hob drohend wieder das Gewehr.
    Evan versuchte sich aufzurappeln und schüttelte den Kopf.
    „Und wenn Sie mich halbtot prügeln, würde das auch nichts ändern. Wer sich einbildet, mein Vater würde versuchen, mich hier rauszuholen, hat sich verrechnet, weil der Mann nicht mal weiß, dass es mich gibt.“ Nach diesen Worten hielt er die Luft an und wartete voller Angst darauf, dass der Mann wieder zuschlug.
    Zu seiner Überraschung aber fluchte sein Bewacher nur, stapfte hinaus und knallte wütend die Tür hinter sich zu. Evan rannte ihm nach, doch es war zu spät. In dem Moment, in dem er an der Tür war, drehte sich der Schlüssel im Schloss.
    „Wasser! Verdammt, ich will Wasser!“ schrie er gellend, wobei er mit der flachen Hand immer wieder gegen die Tür schlug.
    Zitternd vor Verzweiflung lehnte er sich an den Türstock und gab sich alle Mühe, nicht in Tränen auszubrechen. Gleich darauf ging das Licht aus, und das leise Summen, das er den ganzen Nachmittag gehört hatte, verstummte. Offenbar war der Generator ausgeschaltet worden. Er drehte sich um, spähte in die Dunkelheit und tastete sich dann zu seiner Pritsche.
    Es war das Summen des Generators, das ihn aus einem tiefen, traumlosen Schlaf weckte. Sobald Evan richtig wach war, spürte er die Schmerzen in seinem Kiefer und in seinen Fingerspitzen, die geschwollen waren und pochten. Und er spürte noch etwas, das er schon vor dem Einschlafen verspürt hatte – einen riesigen Hunger.
    Er rollte sich auf der Pritsche herum, schwang seine Beine auf den Boden und versuchte sich einzureden, dass Hunger angesichts der Tatsache, immer noch am Leben zu sein, zweitrangig war. Sobald er saß, fiel sein Blick auf das Essenstablett auf dem Boden neben der Tür. Doch seine Freude währte nicht lange, sondern verwandelte sich in Grausen, als er sah, dass eine Ratte kaum einen Schritt entfernt reglos davor saß. Er sprang aus dem Bett und war mit einem Satz bei dem Tablett. An dem Apfel, an dem die Ratte genagt hatte, waren Bissspuren, und über den Boden zog sich eine Spur aus Krümeln hin zu dem angeknabberten Brötchen, das neben der Ratte lag.
    Evan tippte die Ratte, die sich immer noch nicht gerührt hatte, mit der Schuhspitze behutsam an. Ihr schlaffer Körper pendelte sanft hin und her, dann fiel er in seine ursprüngliche Position zurück. Evan unterdrückte ein entsetztes Aufstöhnen. Gift? Wollten sie ihn womöglich vergiften? Aber warum hatten sie ihn dann nicht gleich im Haus seines Großvaters umgebracht, wenn sie sowieso vorhatten, ihn zu

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