Eine fast perfekte Tarnung Meisterspionin Mary Quinn
unterwegs. »Puh! Sie stinken nach Bier.«
»Ich dachte, Sie mögen Bier.«
»Doch, schon.« Er legte ihr die Hand unters Kinn und küsste sie auf den Mund. Sie machte ein kleines überraschtes Geräusch und hob die Hände, als wolle sie ihn von sich stoßen. Doch stattdessen legte sie sie auf seine Brust und ließ sie dort liegen, während sie seinen Kuss mit entzückter Begeisterung erwiderte. Unter dem malzigen Bier schmeckte sie köstlich, vertraut. Es war sogar besser als das letzte Mal, unendlich viel besser, und obwohl er ihr eigentlich nur einen kurzen Begrüßungskuss hatte geben wollen, entwickelte sich daraus eine ganze Orgie an Küssen.
Intensiv.
Hypnotisch.
Schwelgend.
Küsse, in denen die Welt zu versinken drohte.
Die Zeit verging, ohne dass es ihm bewusst wurde. Erst als die Kutsche langsamer wurde und schließlich stehen blieb, schreckte er auf.
»Was ist los?«, murmelte Mary. Ihre Stimme war verträumt und wie von weit weg.
»Wir sind –« Er räusperte sich. »Wir sind bei mir zu Hause.«
»Ach so.« Sie zuckte zusammen, dann löste sie sich rasch aus seinen Armen. Es entstand eine verlegene Pause, die sie gleichzeitig brachen.
»Ich sollte gehen.«
»Willst du nicht mit reinkommen?«
Sie riss die Augen auf, und ihm wurde klar, wie das klingen musste. »Auf eine Tasse Tee. Oder wir unterhalten uns. Oder – also, ganz ohne Hintergedanken. Nichts Spezielles. Ich wollte nur sagen, es besteht kein Grund, dass du gehst.«
Sie fuhr sich mit einer Hand übers Haar und sah auf ihre Jungenlumpen hinunter. »Ich glaube, das kommt nicht infrage.«
»George ist nicht zu Hause«, sagte er eifrig. »Nur ich.«
Sie beugte sich zum Fenster und betrachtete das Haus. »Ihr habt doch sicher Personal.«
Überrascht sah er sie an. »Natürlich. Aber die reden nicht.«
Sie machte ein amüsiertes Gesicht. »Das meinst
du
. Bedienstete klatschen immer.«
»Macht das was aus, wenn sie reden?«
»Ich –« Sie wusste nicht, wie sie es erklären sollte.
James glaubte sie zu verstehen. »Ich weiß schon: Du bist trotz der Verkleidung eine junge Dame. Aber du bist auch etwas angetrunken, und ich weigere mich strikt, dich in diesem Zustand in deine miese Unterkunft zu bringen.«
»So betrunken bin ich nun auch nicht«, sagte sie empört.
»Das hoffe ich allerdings auch, dass du nicht total hinüber bist; das wäre ja wenig schmeichelhaft für mich. Aber du bleibst, bis du wieder nüchtern bist.« Er musste unwillkürlich grinsen. Ihre Reaktion war so durchschaubar, wo er doch normalerweise sehr raten musste, was sie gerade dachte.
Es war ein seltsames Erlebnis, Mary in sein Haus mitzunehmen. Auf einmal fielen ihm die alltäglichen Dinge auf, die er sonst gar nicht mehr wahrnahm: das Klappern seines Schlüssels im Schloss, die dicke elastische Fußmatte unter seinen Stiefeln, die Art, wie seine Stimme in der hohen Diele hallte. James trat zur Seite, um sie hereinzulassen, aber sie zögerte und betrachtete mit unverhohlener Neugier den Garten, was er absolut reizend fand.
Das Haus duftete nach Bienenwachspolitur und Gebäck. Mrs Vine, die seit rund dreißig Jahren Haushälterin bei den Eastons war, kam in die Diele. »Ich warte schon seit zwei Stunden auf Sie, Mr James«, sagte sie und sah ihn kritisch an. »Aber Sie scheinen ja doch nicht so erschöpft, wie ich befürchtet habe.«
Er lächelte. »Das ist das erste Nette, das Sie diese Woche zu mir gesagt haben.«
Sie schnalzte unwillig mit der Zunge. »Gehen Sie und machen Sie sich um Himmels willen frisch. Die Scones werden nicht wärmer.« Ihr Blick wanderte zu etwas hinter ihm. Obwohl sie keine Miene verzog, wurde ihre Stimme förmlich und höflich. »Soll ich für diesen jungen Mann in der Küche decken?«
Mit einer Ruhe, die gespielt war, sagte er: »Nein,Miss Quinn trinkt mit mir zusammen Tee.« Er sah es zwar nicht, merkte aber, wie Mary hinter ihm erstarrte. »Mrs Vine zeigt Ihnen, wo Sie sich – äh – die Hände waschen können.«
Mrs Vines Gesicht zuckte mit keinem Muskel. Sie nickte nur und sagte mit derselben neutralen Stimme: »Bitte folgen Sie mir, Miss Quinn.«
James sah ihnen nach. Mrs Vine segelte voraus, groß und majestätisch, während Mary ihr folgte, scheuer, als er sie je erlebt hatte. Er war sich auf einmal gar nicht mehr sicher, ob er das Richtige getan hatte, indem er sie hergebracht hatte. Was geschah da eigentlich mit ihm? Der eine oder andere Kuss, schön und gut; was in der Kutsche zwischen ihnen
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