Eine Feder aus Stein
…«
»Passiert das öfter mal?«
Sie dachte nach. »Na ja, Mokassinschlangen gibt’s hier schon jede Menge, aber eigentlich nicht im Norden der Stadt. Normalerweise bleiben sie nahe am Wasser.«
»Wir sind nur drei Blocks vom Fluss weg«, entgegnete ich. Trotz der Hitze überlief mich ein Schauer. »Oder meinst du, da war Magie im Spiel?«
»Weiß ich nicht«, sagte Clio. »Ich meine, was war das, ein Angriff? Geht das schon wieder los? Ich dachte, das sei ein für alle Mal vorbei. Wir sollten Nan informieren.«
Sie lief zur Hinterseite des Hauses, während ich meine Tasche vorsichtig vom Boden aufhob und mich, für den Fall, dass die Schlange noch mal irgendwo auftauchte, nach allen Richtungen umsah. Ich hatte siebzehn Jahre lang in Welsford, Connecticut, gelebt. Auf eine Biene zu treten, war das Gefährlichste gewesen, was mir in dieser Zeit passiert war. Doch seit ich nach New Orleans gezogen war, befand ich mich so ungefähr jeden Tag in Lebensgefahr.
Als wir fast an der Rückseite des Hauses waren, hörten wir Gemurmel. Petras Stimme. Und noch eine andere. Die zum Garten weisenden Fenster mussten offen stehen. Da unser Haus leicht erhöht auf einer backsteinernen Pfahlkonstruktion stand, befanden sie sich direkt über unseren Köpfen.
»Machst du dir immer noch Sorgen, dass sie ein dunkler Zwilling sein könnte?«
Die Stimme gehörte Ouida. Und wieder blieben Clio und ich wie angewurzelt stehen. Clio drehte sich zu mir um und legte den Finger auf ihre Lippen. Ein dunkler Zwilling?, dachte ich verwundert. Was reden die da?
»Ich glaube …«, begann Petra, doch dann hielt sie inne. »Sind die Mädchen zurück?«
Meine Augen weiteten sich. Reaktionsschnell riss Clio mich hinter die Hausecke und wir zogen uns auf den kleinen Weg zurück.
»Sie hat uns gefühlt«, flüsterte sie.
»Was zum Geier ist ein dunkler Zwilling?«, gab ich ebenso leise zurück.
Clio zuckte ratlos die Schultern. »Gute Frage, aber da habe ich leider auch nicht mehr Ahnung als du.« Sie drehte sich um und lief wieder auf den Garten zu, wobei sie absichtlich laut auf dem Gehweg auftrat. Ich folgte ihr und guckte mich dabei immer wieder ängstlich nach der Schlange um.
»Ja, und jetzt muss ich in Chemie den ganzen Abschnitt noch mal lesen«, sagte Clio eine Spur lauter als gewöhnlich. »Das nervt total, wo ich doch alle Fragen schon beantwortet hatte.«
Ich war nicht annähernd so gewitzt wie Clio. »Ja«, sagte ich unbeholfen, während meine Gedanken wild durcheinanderwirbelten. »Ähm, ich habe auch ziemlich viele Hausaufgaben auf … Also … Sind die mit dem Streichen hier hinten jetzt fertig, oder was?«
Wir betraten den Garten, liefen an der kleinen Waschküche vorbei und sahen, dass die Hintertür offen stand. Petra blickte durch das Fliegengitter nach draußen.
»Hey!«, rief ich und winkte ihr zu. Ich hoffte inständig, mein Gesichtsausdruck würde mich nicht verraten. Natürlich hatten wir nicht absichtlich gelauscht, aber Petra würde es trotzdem nicht toll finden, wenn sie merkte, dass wir das Gespräch über den dunklen Zwilling mitgehört hatten. Mein Leben war ein einziger Strudel aus immer neuen Geheimnissen. So langsam verlor ich den Überblick, wer was wusste, was dachte und wem ich eventuell noch vertrauen konnte.
»Hallo, Mädchen«, sagte Petra. »Wieso habt ihr nicht den Eingang benutzt?«
»Wir wollten wissen, ob hier alles fertig gestrichen ist«, sagte Clio. »Und so sieht’s aus.«
»Ja, die Handwerker sind vor zwei Stunden gegangen«, erwiderte Petra. »Wie war euer Tag? Habt ihr euch sicher gefühlt?«
»Ja«, sagte ich und stieg die Stufen zur Hintertür hinauf. »Bis wir heimgekommen sind und uns eine Schlange eine kleine Willkommensparty geschmissen hat.«
»Eine Schlange?« Petra wirkte eher amüsiert als besorgt. Ich ließ meinen Rucksack und die Tasche auf den Küchenboden fallen. Ouida saß am Tisch und wedelte zur Begrüßung mit einem Muffin.
»Eine Mokassinschlange auf dem kleinen Gässchen.« Clio machte eine Kopfbewegung nach draußen, während sie schon in einen Muffin biss.
»Die sind aber auch überall«, sagte Ouida. »Man hört immer wieder von Leuten, die sie auf ihren Automotoren oder unter Kühlschränken gefunden haben.«
»Was?«, rief ich erschrocken. Ich warf einen Blick auf den Kühlschrank, der friedlich in der Ecke vor sich hin summte.
Petra lächelte erneut. »Sie mögen es, wenn es warm ist. Deswegen rollen sie sich auf Autos oder unter Kühlschränken
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