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Eine Feder aus Stein

Eine Feder aus Stein

Titel: Eine Feder aus Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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in die Küche gehen.«
    »Wir müssen dir ein paar neue Kleider besorgen«, bemerkte Ouida und fasste Marcel unter. Fast als wäre er invalide, dachte ich. »Wo wohnst du denn?«
    »Nirgends«, antwortete Marcel leise. Was war das für ein Akzent, ein englischer? Ein irischer? Ich fragte mich, wo er bis jetzt gelebt und was er wohl dort getan hatte. Irgendwas Mönchsmäßiges, so viel hatte ich begriffen. Die anderen liefen vor mir her. Zufällig blickte ich genau in dem Moment auf, als Marcel durch den Türrahmen ins Gegenlicht trat.
    Dieses Mal sog ich keuchend den Atem ein und blieb wie angewurzelt stehen. Diese Silhouette … die Kontur seines Kopfes und der Schultern … Er war der Mann, der sich in Clios und meiner Vison über die dunkelhaarige Frau gebeugt hatte! An dem Tag, als wir das Haus in Brand gesteckt hatten! Und er hatte jemanden im Sumpf getötet.
    Die anderen drehten sich nach mir um. Den Blick nach unten gerichtet, schüttelte ich den Kopf. »Da war ’ne Spinne«, erklärte ich unbeholfen und wurde rot.
    »Spinnen, Schlangen … Schätze, du hast schon lange keine Schlangen mehr gesehen, nicht wahr, mon cher? «, fragte Petra an Marcel gewandt.
    »Nein«, erwiderte der.
    »Willst du vielleicht bei mir wohnen?«, fragte Ouida, als sie sich am Küchentisch niederließen. Clio kam durch die Hintertür herein und ein starker Geruch nach Pfefferminz wehte hinter ihr her.
    »Ja«, sagte Marcel, ohne mich oder Clio anzusehen. »Das würde ich gerne.«
    »Jetzt trink erst mal was und dann kümmern wir uns um deine Bleibe. Du musst erschöpft sein.«
    »Es war … eine weite Reise.« Er klang angespannt und traurig, als würde er körperliche Schmerzen leiden. Er war ganz anders als die anderen Männer der Treize. Anders als der selbstgefällige Daedalus, anders als der stille, freundliche Jules, anders als der komische Grufti Richard und natürlich auch anders als Luc. Marcel schien noch weniger von dieser Welt als der Rest von ihnen.
    Und er hatte jemanden getötet. Doch Ouida und Petra schienen ihm zu vertrauen und er schien ihnen wichtig zu sein. Vielleicht wussten sie auch nichts von seiner Tat. Oder es war ihnen egal. Wobei – Petra wäre es nicht egal gewesen. Also wusste sie entweder nichts davon oder … oder vielleicht war die Frau in jener Nacht gar nicht gestorben? Ich dachte an unsere Vision. Die Unbekannte hatte mit dem Gesicht nach unten im Morast gelegen. Wir hatten gesehen, wie sie gejagt wurde. Sie hatte dunkle Haare und dunkle Augen gehabt. Denk nach, denk nach!
    Oh mein Gott. Melita, die böse Hexe, die den Zauber angewandt hatte. Sie war das gewesen! Marcel hatte sie getötet. Oder auch nicht. Doch da sie nach ihrem komischen Ritus damals nie wieder aufgetaucht war, hatte man in der Treize natürlich gedacht, sie sei tot.
    Aber … wenn Melita nicht gestorben, sondern im Gegenteil quicklebendig war, dann brauchte Daedalus Clio und mich ja gar nicht für eine vollständige Treize. Gedankenverloren stand ich da. Jetzt schwirrte mir vollends der Kopf.
    Was, wenn irgendjemand von ihnen wusste, dass Melita noch lebte, wusste, wo sie sich aufhielt? Der betreffenden Person wäre natürlich längst klar, dass nur eine von uns für den Ritus gebraucht wurde. Würde sie versuchen, die andere loszuwerden? Zumindest würde das die Angriffe auf uns erklären.
    Andererseits, wenn Melita immer noch da draußen herumlief, warum war die Person, die darüber Bescheid wusste, nicht schon längst mit der Sprache herausgerückt? Zum Beispiel damals, als unsere Mutter geboren wurde, oder die Mutter unserer Mutter oder davor deren Mutter? Warum warten, bis Zwillinge zur Welt kamen, nur um dann einen von ihnen aus dem Weg zu räumen? Das schien mir doch alles ziemlich abwegig. Dann wiederum sprachen wir hier über einen Ritus, der Menschen unsterblich machen konnte, insofern war der Begriff abwegig irgendwie relativ.
    Das Einzige, was ich sicher wusste, war, dass ich Clio von alldem berichten musste – und zwar so schnell wie möglich.

Kapitel 12
    Würde ihn das umbringen?
    Das Taxi kam langsam zum Stehen. Claire, die mit geschlossenen Augen auf dem Rücksitz lag, stöhnte. Sie war zu müde, um auszusteigen und sich mit all den unerfreulichen Dingen auseinanderzusetzen, die auf sie warteten. Wie viel es wohl kosten würde, einfach so für eine Weile im Taxi zu schlafen?
    »Alles klar, Ma’am, wir sind da.«
    Die Tür öffnete sich und Claire fühlte einen warmen Luftzug an den Beinen. Mühsam öffnete sie

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