Eine feine Gesellschaft
Abstammung und besaß, mit den Worten Christopher Isherwoods, »einen Haarschopf, bleich wie Stroh, und hatte eine feste, grob wirkende, seltsam weiße Haut, als hätte man ihm jeden Tropfen Blut aus dem Körper gepumpt«. Die Linien in seinem Gesicht, die laut Isherwood ursprünglich das »irreführend wilde Stirnrunzeln sehr kurzsichtiger Menschen« waren, hatten die Jahre tiefer und weicher werden lassen; der Ausdruck, dachte Kate, während sie das Foto betrachtete, war jetzt weniger wild. Dieser Mann wirkte vielmehr erfahren, vom Leben gezeichnet. Sie freute sich auf die Dichterlesung und überlegte, ob Clemance wohl auch kommen würde. Irgendwie scheint es mir passend, dachte sie, daß er und ich und Auden, wir drei, in dieser sonderbaren Zeit gleichzeitig im selben Raum sein sollen. Aber natürlich kennt er Auden und wird sich wahrscheinlich vorher mit ihm treffen wollen.
Das alles mußte schnell arrangiert werden. Audens Lesung fand bald statt und mußte kurzfristig geplant worden sein, aber die neue GSES machte ihre Sache gut. Die frühere GSES hatte tatsächlich nur dem Namen nach etwas mit den Studenten zu tun gehabt; die Fakultät hatte sich ihrer bedient, um Leute aus anderen Instituten kennen-zulernen, die sie später für sich rekrutieren wollte. Seit der Revolution war die GSES der Fakultät abgerungen worden und widmete sich nun der Organisation von Lesungen und Diskussionen, die den Studenten interessant erschienen. Jeder betrachtete diese Veränderung als wunderbare Verbesserung, was ja auch stimmt, dachte Kate und strich sich den Termin rot in ihrem Kalender an.
Das Klingeln des Telefons riß sie aus ihren Überlegungen. Clemance fragte, als hätte er ihre Gedanken gespürt, ob sie zur Lesung ginge und ob sie ihn begleiten wolle. Auden werde nicht schon vor-136
her zum Essen kommen, sondern erst direkt zur Veranstaltung. Kate war ein wenig erstaunt, aber einverstanden, Clemance vor dem Vor-tragssaal zu treffen. »Ich hatte gerade die Einladung aufgemacht«, sagte sie, »und dachte, daß Sie bestimmt hingehen.«
»Oh, ja«, sagte Clemance. »Natürlich habe ich seine Gedichte schon immer bewundert, aber es ist wirklich unheimlich, wie aktuell seine Sachen heutzutage sind. Kennen Sie das?
Was hast du ihnen getan?
Nichts? Nichts ist keine Antwort:
Du wirst begreifen – was kannst du dagegen tun? –, Daß du tatsächlich etwas getan hast; Du wirst erleben, daß du sie zum Lachen bringen möchtest; Du wirst dich nach ihrer Freundschaft sehnen.
In diesen Versen stimmt einfach alles«, fuhr Clemance fort, »sie geben genau die Gefühle wieder, die man hat, auch gegenüber jenen Studenten, die so unbeschwert und gedankenlos das Vertrauen und die Herzlichkeit zerstört haben, die zu entwickeln so viel Zeit gekos-tet hat. Und natürlich hat er auch recht, was die Schuld betrifft. Wir, die wir angesichts des herrschenden Aufruhrs immer noch glauben, wir hätten nichts getan – wir sind die Generation, die jetzt am Ende ist, nicht wahr? Kommt Reed Amhearst auch mit?«
»Zu der Lesung? Natürlich, wenn er will; er hört in diesen Tagen so viel Auden, daß er ihn schon selber zitiert. Aber ich fürchte, es werden schrecklich viele Leute kommen.«
»Ich denke, ich kann drei Plätze reservieren lassen«, sagte Clemance. »Mein Einfluß, auch wenn er derzeit im Schwinden ist, dürf-te dafür noch ausreichen. Am Freitag abend also, um Viertel vor acht?«
Nachdem er aufgelegt hatte, dachte Kate eine Weile über die Zuneigung nach, die Clemance zu Reed gefaßt hatte, der ungewöhnlich ausgelassen wirkte im Umgang mit dem berühmten Professor. Seine Bemerkung über die schreckliche Erfahrung, daß Töchter Kinder bekommen, war der absolut untypischste Satz, den sie je aus Reeds Mund gehört hatte. Nun ja, vielleicht war es eine der glücklicheren Folgen des Durcheinanders, daß Leute sich nicht mehr gar so kon-trolliert benahmen. Tatsächlich war Reed häufiger an der Universität zu finden als sie. Er war auch jetzt da, hing zweifellos an Rohren und machte sich Gedanken über Fahrstühle.
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Reed dachte gerade über Aufzüge nach, hing jedoch währenddessen keineswegs an Rohren. Tatsächlich durchfuhr es ihn mitten auf dem Campus, als er an Hanksters Satz über Cudlipp dachte. Eine falsche Fährte? Die entscheidende Frage war natürlich, wann genau… Reed lenkte seine Schritte zum Verwaltungsgebäude.
»Sie wollen sofort mit Präsident Matthewson sprechen?« Die Sekretärin war sichtlich
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