Eine feine Gesellschaft
wie er eine winzige Taschen-lampe anknipste und auf seine Armbanduhr richtete. Bald sprang der Aufzugmotor an. Wahrscheinlich war der Aufzug in eines der oberen Stockwerke gerufen worden. Das Licht, das leuchtet, wenn der Aufzug in Bewegung ist, ging aus und nach kurzer Pause wieder an. Die Lauscher konnten hören, daß der Aufzug auf dem Weg nach unten war. Der Neuankömmling bewegte sich auf den Schaltkasten zu, und plötzlich durchbrach heftiger Lärm die Stille. Die Tür zum Maschinenraum flog auf. Mehrere Männer schienen sich gegenseitig zu packen, Gerangel an den Türen, und Reed hörte eine männliche Stimme flüstern: »Um Gottes willen, mach daß du wegkommst.«
Dann war eine Spraydose zu hören. »Du verdammter Idiot«, flüsterte dieselbe Stimme. Inzwischen hatte sich Reed von dem Rohr herun-133
terfallen lassen und bewachte die Kellertür. Ein Mann stieß mit ihm zusammen, und beide wurden in das erleuchtete Treppenhaus ge-schleudert. Der andere Mann entpuppte sich als der mit Leuchtfarbe besprühte Hankster. Während sich die beiden sprachlos anstarrten, gesellte sich Cartier zu ihnen, der bloß ein erfreutes »Ha!« verneh-men ließ und keine weitere Silbe von sich gab. Der vierte Mann, wer immer er gewesen sein mochte, war verschwunden.
Es dauerte mehrere Stunden, bis die ganze Sache aufgeklärt war, falls »aufklären«, wie Reed später zu Kate sagte, der richtige Ausdruck war.
Cartier war vom Erfolg seiner »Spionageausrüstung« mächtig angetan. Er hatte offenbar seine James Bond-Aktion mit einer Kamera begonnen, in der ein äußerst lichtempfindlicher Film steckte oder, für den Fall völliger Dunkelheit, Infrarotlicht. Das hatte sich, wie er bereitwillig zugab, als eine ziemliche Fehlinvestition erwiesen. Entweder war er im Umgang mit dieser Ausrüstung nicht schnell genug gewesen, oder er hatte die Kamera auf nichts sehr Erhellendes gerichtet. Dabei war er, wie er sagte, zumindest zwei Aufzugssaboteu-ren schon so nahe gewesen, daß er sie hätte berühren können, aber als er sie bis in beleuchtete Gefilde verfolgt hatte, mischten sie sich unter die anderen Studenten, bevor er sie identifizieren konnte. Daher die Spraydose. Sie sollte das Opfer mit Farbe bedecken, so daß es leicht zu identifizieren war. In der Menge unterzutauchen würde dann unmöglich.
Das einzige Problem war, wie Hankster gequält Cartier ins Ohr flüsterte, daß er den falschen Mann erwischt, ihm den teuren Anzug ruiniert und sie allesamt zu Narren gemacht hatte.
»Aber was hatten Sie denn dort zu suchen?« hatte Cartier nicht unberechtigt gefragt.
»Ich habe versucht, einen irregeleiteten Jugendlichen davon ab-zuhalten, sich für eine falsche Sache in ernsthafte Schwierigkeiten zu bringen«, sagte Hankster.
»Zweifellos einer Ihrer radikalen Studenten«, gab Cartier zurück.
»Vielleicht ein, wie Sie es ausdrücken, radikaler Student, wenn auch kaum meiner. Die Idee, die Universität durch den Trick mit Fahrstühlen zu spalten, stammt weder von mir noch von ihm oder sonst einem Radikalen im eigentlichen Sinne des Wortes.«
»Und von wem stammt sie?« fragte Reed.
»Von Cudlipp natürlich«, sagte Hankster. »Haben Sie das nicht geahnt?«
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Beide starrten ihn einen Moment lang an. »Und wären Sie wohl bereit«, fragte Reed, bevor Cartier eine seiner so rüden wie präzisen Bemerkungen machen konnte, »für uns ein Treffen mit einem Studenten zu arrangieren, den Cudlipp dazu angestiftet hat?«
»Nein«, sagte Hankster. »Ich tue alles, um dieser Geschichte ein Ende zu bereiten, wenn mein Einfluß dazu ausreicht und meine Ü-
berredungskunst und wenn mich diese Farbe nicht vergiftet hat, aber ich werde Ihnen keinen einzigen Namen nennen. Tut mir leid.«
Damit marschierte er davon und war, wie Kate später bemerkte, wohl der erste Mensch, der ein Gespräch mit Cartier beendete, bevor Cartier das tun konnte.
»Aber«, fragte Kate am Abend Reed, »kann Hanksters Anschul-digung denn stimmen?«
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Zehn
Die Wahrheit, die es zu erreichen gilt, Darf nicht gleich über die Lippen kommen, Und wer sie aussprechen will,
Muß gleichzeitig zwei Lügen sagen.
Am nächsten Morgen brachte die Post eine Einladung der Gradu-ate Students’ English Society, der GSES, zu einer Dichterlesung.
Ganz offenkundig stolz auf sich, verkündete sie mit viel Trara und einem Foto, um wen es sich handelte: W. H. Auden. Kate betrachtete das weiße, wunderbar zerknitterte Gesicht mit Wohlgefallen. Auden war isländischer
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