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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Kunststoff hatte sich dunkler gefärbt und war durchsetzt mit Knospen, aus denen lange, halb durchsichtige Blätter sprossen; sie raschelten im leichten Wind. Die Passage na hm sehr schnell das Aussehen eines dicht berankten Spaliergangs an. Meine Hände umfaßten vor Ungeduld zitternd das Lenkrad, während ich darauf wartete, daß der Prozeß seinen Abschluß fand. Nick konnte unmöglich eine Vorstellung davon haben, was er verlangte, von sich selbst oder von mir. Aber Stan wußte es. Die Tatsache, daß ich von ihm gebeten worden war, Babylon zu benutzen, vergrößerte meine Nervosität.
    »Können wir?« meinte Stan endlich.
    Ich drehte den Zündschlüssel und schaltete das Abblendlicht ein. Farben erwachten, die Passage war plötzlich grün und nicht nur über uns: durchscheinende Plastikblätter begannen, aus den Verbindungsstellen der Verstrebungen zu wachsen, und all das junge Grün links und rechts raschelte und knarrte und wogte, als der Wagen langsam hindurchrollte. Ich war beeindruckt. Das Zwitterding aus Allee und Dschungelpfad war so bezaubernd, daß ich, nachdem wir ins Freie gelangt waren, nur mit einem Gefühl des Bedauerns anhielt, um der Arkade zu suggerieren, daß sie nun wieder ihre ursprüngliche Gestalt annehmen solle. Die Suggestion mußte präzise und konzentriert erfolgen, da mi t Marees Schicksalsstrang nicht mit dieser Gramarye verwoben wurde.
    »Schade«, meinte auch Stan, als das grüne Laub zu welken begann. »Es wäre ein Spaß gewesen, ihre Gesichter zu sehen, wenn sie es entdeckt hätten.«
    »Fangen Sie jetzt mit der Gramarye an?« fragte Nick.
    »Im Hotel, in meinem Zimmer. Ich muß mich erst mit Will besprechen.«
    Wir fuhren zum Hotel, so schnell das System der Einbahnstraßen es zuließ. Das malträtierte Auto klapperte und eierte, und ich nahm besorgt ein Scheppern irgendwo unter dem Chassis wahr. Als wir in die Market Street einbogen, sagte Nick: »Hinter der Rezeption steht ein Rollstuhl. Soll ich ihn holen?«
    Wir hielten vor dem Haupteingang, um ihn aussteigen zu lassen. Seine Tür ging nicht auf. Ich mußte mit einer kleinen Magie das Schloß knacken, und danach funktionierte es nicht mehr, so daß wir mit hin- und herschwingender Beifahrertür auf den Parkplatz rollten. Wir hielten neben Wills individuellem Geländewagen, dessen Anblick mir diesmal das Herz wärmte. Ich brauchte Will. Nicht einmal Stan gegenüber konnte ich ausdrücken, wie sehr. Ich sandte meinem Bruder einen dringenden Ruf, mich beim Aufzug zu treffen, und tat dann das Nötige, um die anderen Türen zu öffnen.
    »Brauchst du meine Strophe?« erkundigte sich Stan.
    »Allerdings.« Ich stemmte einen Fuß gegen die Fahrertür. Erst nach einem kräftigen Tritt sprang sie auf.
    »Also gut, hier ist sie.« Stans Geisterstimme deklamierte:

    Wie komme ich hin nach Babylon?
    Jenseits von hier und dort.
    Geht’s über Berg oder Brücke hinweg?
    Beides, dann bist du dort.
    Geh nicht bei Nacht und bei Tage nicht,
    sondern folge dem Weg bei Kerzenlicht.

    »Bitte«, schloß er. »Ergibt das einen Sinn zusammen mit deinem Teil?«
    »Definitiv. Meine Text sagt etwas ganz Ähnliches, aber zwischen den Zeilen ist eine Warnung enthalten. Ich hoffe, Wills Strophe erweist sich als das Bindeglied.«
    Im selben Moment, als es mir gelang, die hintere, eingebeulte, verzogene und zerkratzte Tür zu öffnen, erschien Nick mit dem Rollstuhl. Gemeinsam hoben wir Maree aus dem Auto und setzten sie hinein. Man konnte sehen, daß meine Gramarye von vorhin bei ihr immer noch wirkte. Zum Beispiel kam es mir vor, als sei sie schwerer geworden. Sie saß zusammengesunken in dem Stuhl, sehr klein und ätherisch, webte mit den Händen und sprach murmelnd vor sich hin. Ich ließ Nick vorausgehen, er sollte aufpassen, daß sie nicht hinausfiel, winkte Stan zu und schob Maree behutsam und vorsichtig ins Hotel.
    Die Lampen und die allgegenwärtigen Spiegel zeigten mir, was für ein gespenstisches Trio wir waren. Nick war mit goldenem Staub überpudert und hatte in jedem Knie seiner Jeans ein ausgefranstes, blutiges Loch. Ich sah nicht viel besser aus, dazu noch leicht angesengt, besonders meine gute Wildlederjacke war vorn schwarz und verkohlt, die Hose übersät von kleinen Funkenlöchern. Meine Stirnhaare waren abgeflämmt, das Gesicht krebsrot, bis auf weiße Ringe um die Augen, wo die Brillengläser die Hitze abgehalten hatten. Maree sah aus wie eine verhutzelte alte Erbtante, über die jemand eine Tüte Mehl verstäubt hatte.
    Dann stieß

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