Eine Frage der Balance
richtige Geheimnisse, mit denen Sie sich dicke tun können.«
Stan unterdrückte ein Kichern. Ich sagte: »Sie muß dir mehr erzählt haben als das.«
»Das meiste hatte zu tun mit Entseelen und daß es Hunderte von anderen Welten gibt und in der Hälfte davon jede Menge Magie.« Nick stieß ein geringschätziges Schnauben aus. »Alles, was mit Magie zu tun hat, macht sie wild. Sie war total aus dem Häuschen wegen irgendwelcher Neuigkeiten, die sie von Gram White erfahren hatte und wollte mir unbedingt davon erzählen, aber ich sagte, es wäre alles langweiliger Mist und ging weg.«
Kaltherzige Jugend. Fast hatte ich Mitleid mit Janine, auch wenn sie eine Mörderin war. Andererseits, ich kann mich erinnern, daß ich in Nicks Alter genauso gewesen bin, und meine eigene Mutter hat es überlebt. »Kennt sie Gram White schon lange?«
Nick runzelte die Stirn. »Ich glaube. Seltsam - als wir am Freitagabend alle zum Essen gingen, war ich der Meinung, ich hätte ihn vorher noch nie gesehen, doch später am Tisch sagte er etwas und neigte den Kopf zur Seite, und da wurde mir bewußt, daß ich ihn gesehen hatte, oft sogar, früher. Damals hatte er keinen Bart. Er kam uns häufig besuchen, aber ich glaube, Dad mochte ihn nicht, und nach einer Weile blieb er weg.«
»Hat er - Gram White - dir die gleichen oder ähnliche Dinge erzählt wie deine Mutter?« Ich hielt gespannt den Atem an; je nachdem wie seine Antwort ausfiel, konnte Nick das gesamte Gebäude meiner Vermutungen zum Einsturz bringen.
Wieder runzelte Nick die Stirn. »Ich - ich kann mich nicht erinnern. Ich weiß nur noch, daß Mum in seiner Gegenwart über den ganzen Kram redete - ich wäre zu Großem bestimmt und Zauberei und so weiter -, und er lachte sie nicht aus oder sagte, daß sie spinnt, wie es die meisten Leute wohl tun würden. Aber ich war damals noch klein.«
»Und Maree? Wieviel davon hat Maree ...?«
Stan fiel mir ins Wort. »Rupert, ich glaube, mit dem Mädel ist noch zu rechnen. Sie bewegt sich. Und wenn ich nicht irre, versucht sie sogar, etwas zu sagen.«
Sofort hatte ich Nicks Aufmerksamkeit verloren. Mit der Gelenkigkeit der Jugend hatte er sich herumgedreht, kniete auf dem Sitz und schaute angstvoll über die Rückenlehne auf Maree. Ich verstellte den Innenspiegel, so daß ich sie gleichfalls sehen konnte. Die Kehle wurde mir eng bei dem Anblick. Meine Gramarye eben hatte sie unübersehbar beeinflußt. Der stärker gewordene Lebensfunke manifestierte sich in kleinen, ziellosen Bewegungen ihrer Hände, von Kopf und Hüften. Hinter den spiegelnden Kreisen der Brillengläser schienen ihre Augen halb geöffnet zu sein, blaß wie der Rest von ihr, und von den farblosen Lippen kam ein leises Murmeln. Ich fragte mich beklommen, um wieviel ich ihr Halbleben verlängert hatte. Ein paar Stunden? Einen Tag? Mehr?
»Sag das noch mal.« Nick beugte sich zu ihr hinunter.
Nicht eben rücksichtsvoll von mir, aber während seine Aufmerksamkeit abgelenkt war, überrumpelte ich ihn mi t einer anderen Frage, die mir wichtig zu sein schien. Wer mit seinen Gedanken und Gefühlen woanders ist, gibt oft geistesabwesend etwas preis, was er andernfalls nicht verraten würde. »Nick, hat deine Mutter dir je erzählt, weshalb die Erde den Codenamen Babylon hat?«
»Jemand namens Chorus oder so ähnlich ist hier entseelt worden. Sie lacht darüber. Sie sagt, er hätte versucht, die Erde zu erobern, und statt dessen den Turm von Babel erschaffen.« Nick hatte geantwortet wie um sich einer lästigen Pflicht zu entledigen, damit er sich wieder um Maree kümmern konnte. Er beugte sich noch tiefer über die Lehne und sagte langsam und deutlich: »Nein, schon gut. Er hält sie erst morgen Nachmittag. Du hast sie nicht verpaßt.«
Das war also geklärt, der Codename berührte kein Großes Geheimnis. Es war nur eine der Versionen, die über den Tod von Koryfos kursierten. Wenn ich mich recht erinnere, gab es Hinweise darauf, daß er zum Zeitpunkt seines Todes damit beschäftigt gewesen war, unsere Erde der Liste seiner Eroberungen hinzuzufügen. »Was sagt sie?« fragte ich Nick.
»Sie sagt, sie hätte versprochen, dabei zu sein, wenn Dad seine Rede als Ehrengast hält.« Er turnte auf dem Sitz zu mir herum, seine Augen leuchteten hoffnungsvoll. »Sie wird wieder gesund, nicht wahr? Ihre andere Hälfte wird nachwachsen?«
Ich schaute ihn an und fragte mich, wie ich es ihm beibringen sollte. Und ich staunte über meinen eigenen Schmerz. Empfindungen, die ich
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