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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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mit immer heißer werdenden Feuerzeugen eine Kerze an, die nächste und die übernächste. Dabei sagte ich die Strophe auf, die Stan anvertraut worden war.

    Wie gelange ich hin nach Babylon?
    Jenseits von hier und dort.
    Geht’s über Berg oder Brücke hinweg?
    Beides, zu jenem Ort.
    Geh nicht bei Nacht und bei Tage nicht
    sondern folge dem Weg bei Kerzenlicht.

    Inzwischen waren wir bei den letzten beiden Kerzen angelangt. Trotz Marees schleppenden Schritten hatten sie und Nick fast den Raum durchmessen. Will drehte am Zündrad, verbrannte sich und zog eine schmerzliche Grimasse.

    Wie schwer ist der Weg nach Babylon?
    So schwer wie Gram und Tod.
    Sag, worum bitten, bin ich dort?
    Nur, um was dir not.
    Wenn’s dir im Leid nicht an Mut gebricht,
    gelangst du hin bei Kerzenlicht.

    In der Ecke neben der Tür kauernd, entlockten wir mit wunder Daumenfläche und Blasen am Zeigefinger den Feuerzeugen noch einmal eine Flamme und entzündeten die letzten beiden Kerzen. Von dort aus konnten wir die Straße sehen, und der Anblick erfüllte auch mich mit Ehrfurcht und Staunen. Sie schlängelte sich als perlgrau schimmerndes Band über die beiden letzten Kerzen hinaus in eine dunkle Ferne. Man ahnte die U mr isse einer Landschaft, gespenstisch, weil zu einer anderen Wirklichkeit gehörend als Teppichboden und Vorhänge, die sie umrahmten. Gemäß dem Text von Stans Strophe befand sie sich außerhalb von hier und jetzt. Ich war erleichtert, weil die alte Magie gewirkt hatte, und das - dank Will -, ohne den Nodus zu tangieren, und weil es erheblich leichter ist, einen Weg offenzuhalten, den man wirklich sehen kann. Und auf welcher Ebene er sich auch befinden mochte, das da draußen war real. Unmittelbar hinter den beiden letzten Kerzen führte die Straße von einem Hügelkamm steil abwärts. Nick und Maree gingen den Hang hinunter, mit jedem Schritt wurden sie ein Stück kleiner. Nach meiner Schätzung befanden sie sich außer Hörweite - gut so, denn es gab noch eine letzte Strophe, und ich war froh, daß sie davon nichts wußten. Wieder fiel Rob ein, als Will und ich die Worte sagten:

    Wie lang ist der Weg nach Babylon?
    Jahre zwanzig mal drei und noch zehn.
    Sind viele gegangen nach Babylon,
    manch einer ward nimmer gesehn.
    Ist leicht dein Schritt und zaudert nicht,
    kehrst du zurück bei Kerzenlicht.

    Nichts konnte weniger leicht und behende sein als Marees strauchelnde Schritte. Es schien eine Ewigkeit zu dauern, bis das ungleiche Paar auf den nun ansteigenden Windungen der Straße wieder in Sicht kam, eine große dunkle Gestalt und eine kleine blasse; man konnte erkennen, wie sich die erstere fürsorglich der letzteren zuwandte und sie stützte.
    »Puh!« Will leckte seine verbrannten Finger. »Wie kommt es«, fragte er Rob, »daß du auch diese letzte Strophe kennst?«
    »Es ist ein Kinderlied. Jeder in Thalangia kennt diese zwei Strophen.«
    »Aber du bist ein Kundiger, stimmt’s?«
    Rob nickte.
    Das mußte er schon sein, dachte ich, sonst hätte Knarros ihn nicht hergeschickt. Und ich war froh, daß wir auf der Erde nur die eine Strophe kannten, sonst hätte Nick vielleicht nicht so schnell eingewilligt, nach Babylon zu gehen.

Kapitel 20
Rupert Venables, Fortsetzung

    Ich schob den Rollstuhl in die Ecke neben der Tür, um es halbwegs bequem zu haben, während ich mich zunächst darauf konzentrierte, die Straße stabil und sichtbar zu erhalten und dann die Kerzenflammen zu achtzehn glosenden Flämmchen verkleinerte. Anschließend überprüfte ich den Nodus - nach wie vor unberührt - und Wills Schutzwall, der uns felsenfest absc hir mte. Das alles dauerte eine Weile. Nick und Maree hatten den nächsten Hang erstiegen und waren zu klein, als daß man sie in dem ungewissen Zwielicht dort draußen noch ausmachen konnte, und ich entschied, wenigstens einen Teil meiner Aufmerksamkeit erübrigen zu können. Als ich aufblickte, sah ich Will auf dem Frisierhocker sitzen, den wir an die Badezimmertür geschoben hatten, und darunter hatten sich die beiden Entenküken aneinander gekuschelt. Rob stellte sich mit Begeisterung schlafend.
    »Rob«, sagte ich. »Rob!«
    Er simulierte Erwachen nach allen Regeln der Kunst. »Ja?«
    »Rob, es gibt ein oder zwei Dinge, über die ich nicht sprechen konnte, solange Nick zuhörte. Erstens, ich fürchte, Knarros, dein Oheim, ist tot...«
    Ich sprach nicht weiter. Rob weinte. Er weinte, wie der Kentaur Kris geweint hatte; Tränen stürzten aus seinen Augen, strömten über die braunen

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