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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Weg genau kennt, aber ich weiß, leicht wird es nicht. Deine Aufgabe besteht darin, sie an das Ziel des Weges zu bringen - und wieder zurück. Es ist genauso wichtig, sie wieder zurückzubringen wie hin. Verstehst du?« Er nickte. »Wenn ihr ans Ziel gelangt«, fuhr ich fort, »sieht es vielleicht aus wie eine Stadt oder ein Turm oder auch etwas ganz anderes. Wir wissen es nicht. Aber ihr werdet wissen, wenn ihr angekommen seid. Gut. Jeder von euch hat einen Wunsch frei, nur einen, und das, worum ihr bittet, muß etwas sein, das euch sehr am Herzen liegt. Du sorgst dafür, daß Maree sich wünscht, ihre andere Hälfte zurückzuerhalten. Erinnere sie daran. Du selbst kannst dir wünschen, was du willst, aber Maree muß um ihre verlorene Hälfte bitten, oder die Gramarye war vergebens. Okay?«
    Er nickte wieder, tiefernst. »Und das ist der Weg?« Er zeigte auf die Doppelreihe weißer Kerzen. Man hörte ihm an, daß er sich große Mühe gab, nicht ungläubig zu klingen.
    »Sobald die Kerzen brennen«, erklärte ich, »sollte es dir möglich sein, die Straße zu sehen. Ich hoffe es, aber sicher bin ich nicht. Dies ist auch für uns Magids etwas nicht Alltägliches. Noch ein wichtiger Punkt: Ihr müßt die Reise vollendet haben - hin und zurück -, bevor die Kerzen erloschen sind.«
    Nick machte ein zweifelndes Gesicht. »Das sind nur ein paar Stunden, nicht wahr?«
    »Ich werde dafür sorgen, daß sie so langsam brennen wie möglich. Aber es stimmt schon, trödeln dürft ihr nicht. Versucht, in Bewegung zu bleiben, was immer passiert. Hast du alles verstanden? Bist du bereit?«
    Er nickte. Ich half Maree, aus dem Rollstuhl aufzustehen, sie fühlte sich unter meinen Händen so leicht und zerbrechlich an wie ein Vögelchen. Sie konnte stehen, und als ich sie am Arm zog, setzte sie sich gehorsam in Bewegung, aber ihr Gang war ein langsames, kraftloses Schlurfen. Dabei hielt sie den Kopf zur Seite geneigt und ließ die Küken nicht aus den Augen. Nick umfaßte energisch ihren anderen Arm.
    »Komm schon, Maree«, drängte er. »Du mußt gehen. Du mußt kämpfen. Du weißt, wie stark du sein kannst, wenn du richtig fuchsteufelswild wirst. Komm schon, pump dich auf!«
    Seine Worte zeigten Wirkung. Maree wandte den Kopf, um ihn anzusehen, und ihre Lippen formten das Wort »fuchsteufelswild«. Eine Hand machte eine kleine, ziellose Bewegung, als wolle sie die Brille hochschieben.
    »Ganz genau.« Nick führte sie zur Tür, zum Anfang der Doppelreihe aus Kerzen, dann schaute er mich an. »Und was nun?«
    »Will und ich zünden die Kerzen an, und dabei sagen wir die Beschwörungsformel. Du sprichst mit, soweit du die Worte kennst. Und sobald du den Rest der Straße sehen kannst, geh los. Alles klar?«
    Nick zwang sich zu einem Lächeln. »Alles klar.«
    Will und ich eilten zum entgegengesetzten Ende der Kerzenreihen. Wir waren beide mit Benzinfeuerzeugen bewaffnet; sie eignen sich nicht besonders zum Kerzenanzünden, aber bei allen archaischen Gramaryen hält man darauf, mit Stahl und Feuerstein Funken zu schlagen. Sobald die ersten beiden Kerzen brannten, gingen wir weiter zum nächsten Paar und begannen den volkstümlichen Teil des Geheimnisses aufzusagen. Wie bei allen urtümlichen Zaubern erhalten die Worte Hinweise darauf, was zu tun ist.

    Wie weit ist der Weg nach Babylon?
    Meilen zwanzig mal drei und zehn mehr.
    Komme ich hin bei Kerzenschein?
    Ja, und auch wieder her.
    Gehst du geschwind und säumest nicht
    gelangst du hin bei Kerzenlicht.

    Rob sprach die Worte mit, hörte ich. Interessant. Maree bewegte die Lippen, Nick deklamierte den Text mit lauter, fester Stimme, bis ihm plötzlich klar wurde, daß er mit Maree eine Strecke von siebzig Meilen zurücklegen mußte - nein, einhundertvierzig Meilen, bevor diese Kerzen ausbrannten. Seine Stimme schwankte ein wenig, und er sah mich erschrocken an, doch er sprach bis zum Ende mit.
    Als nächstes kam meine eigene Strophe. Ein Gefühl sagte mir, daß dies der Platz war, an den sie gehörte.

    Wo beginnt der Weg nach Babylon?
    Nirgends und ringsumher.
    Kann ich ihn gehen, wann immer ich mag?
    Nein, dreimal und dann nimmermehr.
    Folgst du getreulich dem Weg und irrest nicht,
    gelangst du hin bei Kerzenlicht.

    Nach der Hälfte konnte ich sehen, wie Nicks Augen groß wurden; er richtete den Blick auf etwas jenseits der Wände des Z imm ers. Er zog Maree am Arm, und sie machten zaghaft den ersten Schritt auf dem von Kerzen gesäumten Pfad. Wir bewegten uns auf sie zu, zündeten

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