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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Wangen und den schön geschwungenen Mund, während er kläglich von mir zu Will schaute. Der Schmerz raubte ihm die Stimme, und wir respektierten seine Trauer. Schließlich wischte er sich mit den Händen durchs Gesicht und fragte: »Wie?«
    »Jemand hat ihn mit einer Waffe von der Erde erschossen«, antwortete ich. »Es tut mir leid. Ich hätte es verhindern müssen, aber ich war mit Blindheit geschlagen. Ich hatte keine Ahnung, was im Gange war.« Mir war elend zumute, weil Rob dieses granitene Standbild von einem Kentauren offenbar geliebt hatte. Und mir war nicht der geringste Verdacht gekommen, daß Knarros ein falsches Spiel treiben könnte, auch wenn ich geahnt hatte, daß die jungen Wächter am Tor nicht auf mich warteten. Ich hatte in letzter Zeit alles vermasselt, was ich anfing, beginnend mit der Gerichtsverhandlung gegen Timotheo, und es bedurfte der Tränen eines Kentauren, um mir die Augen zu öffnen.
    »Wie alt bist du, mein Junge?« fragte Will mitfühlend.
    »Achtzehn«, antwortete Rob mit einem tiefen, rauhen Aufschluchzen.
    Damit war er alt genug, um sich selbst durchzuschlagen, dachte ich, vorausgesetzt, die rigide Erziehung in dieser Kolonie hatte nicht alle Fähigkeiten, die man zum Überleben in der weiten Welt braucht, verkümmern lassen.
    »Du hast gesagt, du hättest noch Familie, zu der du gehen kannst?«
    Rob nickte. Er fühlte sich zu Will hingezogen, das konnte man sehen. Mein älterer Bruder war der Typ bodenständiger Landmann mit rauher Schale und weichem Kern, der bei Kentauren große Wertschätzung genießt. »Mein Mutter lebt noch«, sagte er schniefend. »Aber seit meiner Geburt ist sie kränklich.«
    Sein Gesichtsausdruck verriet, daß er sich deswegen schuldig fühlte. Ich seufzte - zum einen, weil dieses Schuldgefühl absolut sinnlos war, und andererseits, weil mir klar wurde, daß ich bei diesem Gespräch die Rolle des harten Mannes spielen mußte. Ich machte den Mund auf, um etwas zu sagen, aber Will kam mir zuvor. »Und dein Vater? Ist er noch am Leben?«
    Rob hob den Kopf und reckte das Kinn vor. Die Hand auf dem goldenen Medaillon auf seiner Brust, erwiderte er aus tränenumflorten Augen stolz Wills teilnahmsvollen Blick. »Mein Vater ist tot«, antwortete er. »Timos IX. war mein Vater.«
    O nein! Ich hatte das Gebäude meiner Schlußfolgerungen auf einem anderen Fundament errichtet, und nun stürzte alles zusammen. Will sah genauso verdutzt aus, wie ich mich fühlte. »Dann«, meinte er vorsichtig, »müssen deine Mutter und Knarros aus sehr gutem Haus gewesen sein.«
    »Aus vornehmstem Geschlecht«, bestätigte Rob feierlich.
    Einen Moment lang musterten wir schweigend diesen jungen Kentaurenprinzen im Exil, dann sagte ich: »Rob, im Zusammenhang mit dem Tod deines Oheims gibt es noch einige andere Dinge, die du ...«
    Ein lautes Klopfen draußen im Flur ließ mich innehalten. Wer imm er es war, konnte Wills Abschirmung nicht durchdringen und klopfte deshalb nicht an die Tür, sondern hämmerte oder stampfte davor auf den Boden. Wir hörten jemanden rufen, erst gedämpft und wie aus weiter Ferne, dann lauter und deutlicher, als der Mann im Korridor eine Möglichkeit fand, seine Stimme durch die Schichten des Schutzwalls zu projizieren.
    »Venables! Venables, hören Sie mi ch?«
    Ja, ich hörte ihn, und das war beunruhigend. Er schien es zu bewerkstelligen, indem er seine Stimme, bildlich gesprochen, unter Wills Gramarye hindurchschob und meine dahinterliegende, einfacher konstruierte Barriere als Schallverstärker benutzte. Das erforderte großes Können und sehr große Macht. Mein erster Impuls war, mich taub zu stellen. Als Ausführender weiß man oft erst dann, ob ein Zauber funktioniert hat, wenn jemand darauf reagiert. Ich bedeutete Will und Rob mit Blicken, sich still zu verhalten, dabei sah ich, daß Rob die Stimme erkannt hatte. Er schaute mit erhobenem Kopf zur Tür, und ich glaubte einen Moment, er wolle antworten, dann aber besann er sich anders.
    »Venables!« Laut wie eine Kampfansage.
    »Wer ist das?« fragte Will Rob im Flüsterton.
    »Gramos.« Rob war die Überraschung und Verwirrung am Gesicht abzulesen. »Er lebt in Thalangia. Wie kommt er hierher?«
    »Weil er auch hier Interessen hat«, sagte ich. »Und hier kennt man ihn als Gram White.«
    »Venables! Ich weiß, Sie sind da drin! Geben Sie Antwort!« schrie White. »Ich gehe nicht weg, bis Sie sich melden.«
    »Antworte ihm, damit wir ihn loswerden«, riet Will leise.
    Ich verlieh meiner Stimme

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