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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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kleinen Geschöpfen sie dazu bewogen.
    Bevor sie wieder in ihren Dämmerzustand zurücksinken konnte, räumte ich das Tablett beiseite und schüttete jeden übriggebliebenen Krümel vor dem Rollstuhl auf den Boden. Die Küken wetzten zu dem Festmahl hin, und Maree beugte sich vor, um sie zu beobachten.
    »Also«, sagte ich, »die Pause ist zu Ende, und der Ernst des Lebens beginnt wieder. Rob, wir werden eine von den großen Gramaryen durchführen, und du wirst zwangsläufig Augenzeuge sein. Ich muß dich auffordern zu schwören, mit niemandem darüber zu sprechen.«
    »Du könntest ihm ein geis auferlegen«, schlug Will vor.
    Rob schüttelte vehement den Kopf. »Bitte nicht. Ich verrate bestimmt kein Sterbenswörtchen. Ich versetze mich in Schlaf, wenn ihr wollt.«
    »Dein Schwur wird genügen«, sagte ich.
    Also gelobte er Stillschweigen, ernsthaft und andächtig, im Namen von Koryfos dem Großen. Will zwinkerte mir zu. »Hast du genug Kerzen, Bruderherz? Meine sind alle unten im Groundraker. Soll ich sie holen?«
    Genau wie Maree überallhin ihren Arztkoffer mitnahm, trete ich keine Reise an, ohne eine Tasche mit allen Utensilien für eine Gramarye bei mir zu haben. Ich holte sie vom Kofferständer und schaute nach. Achtzehn einfache weiße Kerzen und die entsprechende Anzahl Leuchter aus Draht. »Das reicht«, sagte ich zu Will. »Mir ist lieber, niemand verläßt das Zimmer, bevor wir fertig sind - mindestens zwei mächtige Antagonisten lauern da draußen. Will, umgib uns mit den stärksten Barrieren in deinem Repertoire. Ich werde die Straße lokalisieren und Nick erklären, was ihn erwartet.«
    Wir standen beide mit dem Rücken zur Tür und konzentrierten uns. Will ließ einen Schutzwall von solcher Massivität entstehen, daß ich mich fühlte wie in einem Banktresor. Er ging mit größter Sorgfalt vor, isolierte uns gegen den Nodus und installierte diese Abschirmung auf Dauer. Ich war ihm dankbar. Seine Arbeit ermöglichte mir, ungestört in Gedanken meine Babylon-Strophe zu repetieren, mein Stück von dem Großen Geheimnis.

    Wo beginnt der Weg nach Babylon?
    Nirgends und ringsumher.
    Kann ich ihn gehen wann immer ich mag?
    Nein, dreimal und dann nimmermehr ...

    Nick und Rob beobachteten uns mit nahezu identischen Mienen ehrfürchtigen Respekts. Nick sagte plötzlich mit kehliger Stimme: »Ich muß aufs Klo. Darf ich?«
    Ich nickte ihm zu. »Geh. Rob auch. Avanti!«
    Nick rannte ins Badezimmer. Rob ließ vorsichtig alle vier Hufe zu Boden gleiten, warf die Decke zur Seite und stellte sich hin. »Au!« sagte er. Seine Hand zuckte zu der Naht an seiner Flanke. Marees Augen folgten der Bewegung mit vagem beruflichen Interesse. Sie war definitiv lebendiger als noch vor kurzem und schaute ihm nach, als er steifbeinig über die Küken hinwegstakste und im Badezimmer verschwand. Viel Platz hatte er wahrscheinlich nicht darin. Sollte Nick ihm helfen. Ich konzentrierte mich wieder auf die Verse.
    Die Straße war bei uns im Zimmer, selbstverständlich, mehr oder weniger genau vor meinen Füßen. Sie würde immer dort sein, für mich oder jedermann, denn sie war, in gewissem Sinne, das Leben selbst. Diese Babylon-Gramarye war alte, uralte, grundlegende Magie. Nick kam zurück, dann Rob; ich ignorierte beide und schritt den Teil ab, der quer durchs Zimmer lief. Ich mußte Maree in ihrem Rollstuhl ans Bett schieben, um ihn bis zu Ende zu gehen. Danach kehrte ich zur Tür zurück und stellte rechter Hand alle paar Schritte einen Leuchter mit Kerze auf den Boden. Der Abstand zwischen den ersten beiden betrug nur einen Schritt, die folgenden standen weiter auseinander, die nächsten noch weiter, bis neun Kerzen in einer Reihe standen.
    Dann kehrte ich wiederum zum Anfang zurück und stellte ihnen linker Hand je eine Kerze gegenüber, bis es auch auf dieser Seite neun waren und beide Reihen einen ungefähr dreißig Zentimeter breiten Pfad säumten. Ich ging wieder zur Tür und betrachtete mein Werk, um zu sehen, ob es gut war.
    Es war. Obwohl ich die Kerzen parallel zueinander aufgestellt hatte, sah es von meinem Standpunkt aus, als ob sie am entgegengesetzten Ende aufeinander zuliefen. Durch die perspektivische Täuschung wirkte das Zimmer plötzlich doppelt so groß.
    Ich winkte Nick heran.
    »Hör mir jetzt gut zu«, sagte ich zu ihm. »Du und Maree, ihr geht auf eine Reise. Ihr müßt zu Fuß gehen, und der Weg ist weit, deshalb mußt du sie begleiten und ihr helfen. Ich kann dir nicht viel dazu sagen, weil niemand den

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