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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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Dachten wir anfangs, aber dann wurden die Geräusche eindeutig zu Stimmen.
    Hauptsächlich war es ein Raunen und Flüstern. Das war gruselig genug. Manches hörte sich nach einer fremden Sprache an, aber mich traf fast der Schlag, als dicht an meinem Ohr jemand sagte: >Du entkommst mir nicht. Ich warte nach der Schule draußen auf dich.< Es klang wie eine ernstgemeinte Drohung, aber da war niemand.
    Wir alle hörten Stimmen, aber wir hörten nicht dieselben. Was immer sie zu Rob sagten, er versuchte, sich die Ohren zuzuhalten. Kerzenwachs tropfte in sein Haar, und manchmal zischelte es, aber ganz offensichtlich war ihm das lieber, als sich anhören zu müssen, was ihm die Stimmen erzählten. Maree liefen beim Gehen Tränen unter der Brille hervor. Ich selbst wurde nach dem ersten Schreck immer wütender. Da war eine Stimme, die in gelangweiltem Ton ständig wiederholte: >Kein Grund zur Sorge. Ist schon so gut wie erledigt!< Das ging mir echt auf den Keks. Das Schlimme war, sie hörte sich an wie meine eigene Stimme. Ein- oder zweimal konnte ich einfach nicht anders, und ich schrie zurück: >Verdammt, halt die Klappe! Manchmal sage ich auch was Nettes!< Aber sie wollte nicht schweigen. Endlich hatte ich es dermaßen satt, daß ich Rob anbrüllte, ich wüßte gern, was die Stimmen ihm erzählten.
    Er drehte sich um, als wäre ich sein Retter in der Not, und schrie zurück, sie drohten ihm, seine Schönheit wäre futsch, wenn er weiterginge. >Sie sagen, ich brauche mich nur durch den nächsten Spalt an dieser Seite schieben, und ich wäre zu Hause<, erklärte er. Wenigstens glaubte ich, das zu verstehen, aber meine Stimmen übertönten ihn und zerschwätzten jedes andere Geräusch.
    Und es ging weiter, das reinste Irrenhaus, bis wir uns zwischen den beiden letzten Felspfeilern hindurchzwängten und die Stimmen und der Wind verstummten wie abgeschnitten.
    Das nächste Stück Weg war lang, gerade und eben. Rob und Maree wurden wieder putzmunter, gingen nebeneinander her und redeten. Kaum zu glauben, aber Rob wußte nicht, was er sich in Babylon wünschen sollte.
    Er sagte, Will hätte ihm klargemacht, daß er dringend um etwas bitten müßte, aber er könnte sich einfach nicht vorstellen, was. Er erzählte Maree einige von den Dingen, die Will ihm an den Kopf geworfen hatte.
    Während sie sich unterhielten, wurde mir immer beklommener zumute. Es schlug mir aufs Gemüt, daß vor uns und hinter uns nur Dunkelheit war und an beiden Seiten auch. Besonders an beiden Seiten. Ich fühlte mich wie auf Messers Schneide mitten im Nichts, dem kalten, hungrigen Nichts mit scharfen Zacken darin, das uns unter der Brücke begleitet hatte. Während Maree zu Rob sagte: >Das hört sich an, als solltest du um eine neue Seele bitten<, hatte ich nichts Besseres zu tun, als zum Rand des Weges zu gehen und die Hand mit der Kerze auszustrecken, um zu sehen, was es dort gab.
    Nichts. Da war nichts, absolut nichts. Nur ein bodenloser Abgrund. Wie ein Idiot rannte ich zur anderen Seite. Genau das gleiche. Noch ein Abgrund. Wir spazierten tatsächlich über einen Steg mitten im Nichts.
    Ich hörte kein Wort mehr von dem, was Rob und Maree redeten. Sie gingen unbekümmert weiter und diskutierten über Robs Seele. Ich tappte hinter ihnen her, wagte kaum die Füße zu heben, und das kalte Grauen schüttelte mich wie die Katze die Maus. Ich hatte solche Angst, daß ich am liebsten auf Händen und Knien weitergekrochen wäre - auf dem Rückweg tat ich es -, aber ich wollte mich nicht vor den beiden anderen blamieren, denen das alles gar nichts auszumachen schien. Ich fühlte mich erst wieder besser, als wir die hängenden Gärten erreichten.
    Der Name fiel uns spontan ein, und er paßte, aber das Ganze war etwas anders, als man es sich vorstellt. Am Anfang merkten wir nur, daß wir jetzt über einen federnden, höckerigen Untergrund gingen, der einen zitronigen Duft verströmte und unter unseren Füßen ein wenig zu schwanken schien.
    Maree sagte: >Zitronenverbenen! Wunderbar!<
    Der Weg führte ziemlich steil bergauf, und der Boden schwankte immer stärker, je weiter wir gingen, und bald fiel der Schein unserer Kerzen auf einen Turm, halb unter wuchernden Pflanzen begraben. Er sah aus wie der Turm aus einem Schachspiel, nur groß wie ein Haus. Ein Stück weiter noch ein Turm, auf der anderen Seite, dieser hatte Ähnli c hk eit mit einer Pagode aus Porzellan. Überall üppige Vegetation, im Kerzenschein entdeckten wir Blumen, und die Luft roch

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