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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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richtig wild.
    Die Brücke schien zunächst nur vorhanden zu sein, so weit der Kerzenschein reichte, und so blieb es auch den Rest des Wegs. Nach einer Weile kam es uns normal vor, daß wir unseren eigenen kleinen, begrenzten Ausschnitt der Wirklichkeit mit uns führten, es war eben so; aber anfangs, bevor wir uns daran gewöhnt hatten, fanden wir es gar nicht komisch. Man schaute nach vorn und sah schwarzes Nichts hinter ein paar Metern fester Straße. Besser, man hielt den Blick innerhalb des Lichtkreises, aber man durfte auch nicht genau nach unten schauen. Die Kerzen breiteten einen Ring aus Schatten rund um die Füße, und der Schatten war ebenfalls schwarzes Nichts. Am unheimlichsten war es unter Robs Körper, er schien sich auf einem Rechteck aus Nichts zu bewegen. Als er es merkte, spreizte er entsetzt alle vier Hufe und erstarrte, nur sein Schweif peitschte aufgeregt hin und her. Maree und mir ging es auch nicht besser.
    >Wir - wir müssen weitergehen, sagte Rob schließlich. Wer nicht losgeht, ko mmt nicht ans Ziel<, sagte Maree.
    Also setzten wir uns in Bewegung, aber mit weichen Knien, und bei jedem Schritt hatten wir Angst, ins Leere zu treten und in die Tiefe zu stürzen.
    Und als wäre das nicht genug, hatte man selbst dort, wo man im Kerzenlicht den Boden erkennen konnte, das Gefühl, als ob darunter die grenzenlose Leere darauf wartete, daß wir hinunterstürzten. Sie war lebendig. Ich kann es nicht beschreiben. Ich fühlte nur, daß sie schwarz war und wie ein Rachen voller spitzer, scharfer Zähne - schlimmer als jeder von Dads Dämonen. Wir alle wußten, daß sie lebte. Wir hörten, wie sie sich regte, und fühlten ihren kalten Atem aus der Tiefe heraufwehen. Sie wanderte unter unseren Füßen mit.
    Rob sagte zwischen zusammengebissenen Zähnen hindurch, während er sich mit steifen Beinen zentimeterweise vorwärtstastete: >Ich glaube, ich habe noch nie in meinem Leben solche Angst gehabt.<
    >Prima<, sagte Maree. >Du nimmst mir das Wort aus dem Mund.<
    Dann wurde es noch schrecklicher, denn je näher wir dem anderen Ufer kamen, desto schadhafter wurde die Brücke. Sie bestand nur noch aus Bruchstücken, flachen Platten wie Eisschollen, und zwischen den Schollen wartete die Leere auf uns. Die jeweils nächste Scholle sahen wir erst, wenn der Lichtschein unserer Kerzen sie erreichte. An manchen Stellen war es schlimmer für Maree und mich, zum Beispiel, wenn der Abstand von einer Scholle zur nächsten besonders groß war und wir hatten beide Hände voll und konnten uns nicht aneinander festhalten oder uns stützen. Man schloß mehr oder weniger die Augen, machte einen großen Schritt und hoffte das Beste. Rob hatte Schwierigkeiten, wenn die Platten klein waren und die Abstände unregelmäßig. Er mußte sozusagen auf Zehenspitzen gehen und genau überlegen, wohin er die Hufe setzte. Ein- oder zweimal rollte er wild mit den Augen, und ich hatte Angst, daß er in Panik geriet, doch wir arbeiteten uns voran, Stück um Stück, und nach endlosen Meilen - so kam es uns vor - sahen wir die beiden Pfeiler am Ende der Brücke. Wir stürmten zwischen ihnen hindurch und atmeten auf, als wir wieder festen Boden unter uns spürten.
    Es wurde aber nicht besser, nur anders.
    Der Weg, den wir mit unseren Kerzen beleuchteten, wurde hier zu einem Pfad, halb überwachsen von Stechginster und wilden Brombeeren oder irgendwelchen anderen Büschen mit Ranken und Dornen, und einige davon waren sogar größer als Rob. Die Dornen waren gemein. Rob hatte einiges auszustehen, denn er konnte sich nicht seitlich dazwischen hindurchschieben wie Maree und ich. Durch die Lücken zwischen den Büschen fuhr nun ein heftiger Wind. Die Kerzenflammen wurden fast waagerecht zur Seite geweht, trotzdem verloschen sie nicht, und nach einige Zeit bemühten wir uns nicht mehr, die Flammen abzuschirmen; es war ohnehin sehr mühselig zu bewerkstelligen mit einer um Getreidekörner zur Faust geballten Hand. Davon abgesehen, wir brauchten diese Faust, um die dornigen Ranken beiseite zu schieben.
    Ich kann mich nicht erinnern, wann unsere Kleider verschwanden, aber an irgendeinem Punkt waren sie weg, Schuhe und alles andere. Zuerst fühlte ich nur schneidende Kälte, dann ratschte ein widerlicher Dornenzweig quer über meinen Bauch, und ich merkte, ich war splitterfasernackt. Auch Maree, die vor mir ging, war nackt und schien noch stärker von innen heraus zu leuchten als vorher, und als ich über die Schulter blickte, sah ich, daß Rob sein Hemd

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