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Eine Frage der Balance

Eine Frage der Balance

Titel: Eine Frage der Balance Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana W. Jones
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aufdringlich süß, schlimmer als in einer Parfümerie. Dann wieder ein Turm, diesmal eine Pyramide mit zu vielen Stufen. Danach führte der Pfad fast senkrecht in die Höhe, und der blumenbewachsene, duftende Untergrund schwankte nicht nur, er begann zu schaukeln. Inzwischen war uns allen klar, daß wir nur die Spitzen von gewaltigen Türmen sahen, die aus einem tiefen, tiefen Abgrund aufragten, und daß die Gärten an den Türmen himmelhoch über uns aufgehängt waren. Sobald einem das klar wurde, fühlte sich der schaukelnde Boden so dünn an wie Seidenpapier.
    Maree geriet in Panik und erstarrte zur Salzsäule, ich mußte sie am Arm mitziehen. Rob konnte mir nicht helfen. Wenn er nicht Hände gehabt hätte, um sich hochzuziehen, wäre er wirklich in der Kle mm e gewesen. Auch so hatte er zu kämpfen: Manchmal war er mit den Vorderhufen zu weit geklettert, wußte die Hinterhand nicht nachzubringen und wurde immer länger. Schließlich mußte ich nicht nur Maree helfen, sondern auch Rob. Ich nahm meinen Schal ab und band ihn mir um die Taille. Daran schleppte ich Maree so weit nach oben, wie sie es aushalten konnte, bevor sie anfing zu weinen und mich anflehte stehenzubleiben. Meistens versuchte ich, sie dicht bei einem der Türme zu parken, wo der Boden weniger schwankte, und dann ging ich zurück, um Rob zu holen. So pendelte ich hin und her, einhändig, die Kerze hoch erhoben, um zu sehen, wohin wir traten. Die Blumendüfte wechselten, von süß, zu würzig, zu krautig, nach einiger Zeit fing ich an, sie zu hassen. Ich zertrampelte Blumen, um den Fuß einstemmen zu können, wenn ich Rob über eine schwierige Stelle hinweghalf, und ich verlor den Überblick über die ständig auftauchenden Türme und die vielen verschiedenen sonderbaren Formen. Irgendwann war ich mit meinen Kräften ziemlich am Ende.
    Wir kamen in einen Bereich, der offener wirkte, weil der Boden aus tausenden Moospolstern zusammengesetzt war. Weil das Moos sehr hell war, konnte man sehen, wie es sich vor uns und zu beiden Seiten scheinbar ins Endlose erstreckte. Hier war das Schaukeln schlimmer als auf dem ganzen Stück vorher. Trotzdem lebte Maree wieder auf - dafür fühlte Rob sich alles andere als wohl in seiner Haut, unter anderem, weil er hier besser sehen konnte und also auch sah, wie seine Hufe jedes Mal unaufhaltsam auseinanderglitten. Doch am meisten setzte ihm das Schaukeln zu.
    Er machte ungewollt einen wirklich schlimmen Spagat - die Vorderhufe fast unter meinem Kinn, während ich seine Hand umklammerte, die Hinterhufe senkrecht darunter und den Bauch im Moos -, als der ganze Hang heftig in Schwanken geriet.
    >Was ist das?< keuchte er.
    Wahrscheinlich hätte ich es ihm nicht sagen sollen, aber ich war auch in Panik. Ich blickte an Rob vorbei nach unten und sah, wie das Licht einer Kerze die Blätter zu dem leuchtenden, unechten Grün verfärbte, das man bekommt, wenn am Fernseher die Farben zu grell eingestellt sind. Wer immer das da unten war, er arbeitete sich mit kraftvollen Rucken nach oben und hangelte sich dabei an den Pflanzen weiter, und das verursachte das Schwanken. >Da ko mmt jemand<, sagte ich zu Rob.
    Rob fluchte und strengte sich noch mehr an. Aus irgendeinem Grund waren wir beide überzeugt, daß es sich um einen Feind handelte. Er warf über die Schulter einen Blick nach unten und sah die Kerze ebenfalls. >Auf diese Weise bin ich keine Hilfe für euch<, sagte er und versuchte, sich mit der Hinterhand abzustoßen und nach oben zu schnellen, aber durch die Wunde war er steif und ungelenk und streckte sich nur immer länger, und in der nächsten Sekunde brachen seine Hufe durch die Moosdecke und der halbe Rumpf hinterher, und er baumelte über dem Nichts. Er ließ die Kerze fallen und krallte die freigewordene Hand in einen Mooshügel. Ich sah die Flamme immer kleiner werden, bis sie schließlich vom Dunkel verschluckt wurde, und mir wurde klar, daß ich um keinen Preis seine Hand loslassen durfte, oder es war um Rob geschehen. Ich setzte mich auf seine Vorderhufe, damit sie nicht wegrutschen konnten, auch wenn es ihm weh tat, und umklammerte mit aller Kraft seine Hand.
    Ein Alptraum! Und ich war schon so erschöpft, daß meine Arme sich anfühlten wie Gummi.
    Maree befand sich haushoch über uns. Sie schrie auf und kletterte nach unten. Wie als Antwort rief eine Männerstimme laut von unten herauf: >Was ist los?<
    >Er fällt! < schrie Maree. >Hilfe!<
    >Haltet durch! < rief der Mann, und er kam im Eilzugtempo näher.

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