Eine Frage der Balance
Spiegeln an der Decke nach heimlichen Zeugen.
Und da waren schon zwei. Tina Gianetti kauerte in einem Sessel hinter einer Topfpalme; höchstwahrscheinlich versteckte sie sich vor ihrem geschniegelten Freund. Wenn ich richtig sah, drückte sie sich einen Eisbeutel an die Stirn. Ted Mallory schlummerte an der entgegengesetzten Seite hinter einem Farn. Wegen der Assoziation zuckte ich bei Mallorys Anblick ein wenig zusammen, davon abgesehen war ich beruhigt; die beiden schienen mir zu differenzierten Beobachtungen kaum imstande zu sein. Ich ging auf und ab, die Hände in den Taschen, und spürte nicht die geringste Vorahnung, während ich über Andrews seltsame Verwandlung nachdachte und meine
Gefühlsverwirrung wegen Maree. Plötzlich kam der leidgeprüfte Maxim Hough die Treppe ins Foyer hinunter und sagte laut: »Okay, okay, wir werden das jetzt und hier besprechen, Wendy. Ich will nicht, daß gleich wieder der nächste Aufstand losbricht.«
Ihm folgte eine walkürenhafte junge Dame mit einer durchdringenden, quengelnden Stimme. »Da gibt es nichts zu besprechen, Ma xim . Es stand von Anfang an fest, daß ich um diese Uhrzeit in Universe Three meinen Autoren-Workshop abhalte.«
Hinter ihr kam Mervin Thurless. »Mir ist egal, was ihr beschließt!« giftete er. »Sagen Sie dieser fetten Kuh, sie soll sich von meinem Workshop fernhalten!«
»Ich habe es nicht nötig, mich von dem beleidigen zu lassen!« beschwerte sich Wendy schrill.
Ted Mallory richtete sich auf und runzelte unwillig die Stirn. Tina Gianetti rutschte tiefer in den Sessel. Maxim fuhr mit beiden Händen durch seine blonden ägyptischen Locken und manövrierte sich mit beschwichtigender Miene und Gebärde zwischen Thurless und Wendy die Walküre. »Ein klarer Fall von Doppelbelegung«, sagte er.
Plötzlich draußen ein gellendes Quietschen von Autoreifen. Im nächsten Augenblick stürmte etwas Großes und Vierbeiniges durch die gläserne Eingangstür, durchquerte das Foyer zu schnell, als daß ich es deutlich hätte erkennen können, und verschwand, Blutstropfen versprühend, die Treppe hinauf. Die Rezeptionistin erwachte zu roboterhaftem Leben. Sie fuhr herum, zeigte mit starr ausgestrecktem Arm zur Treppe und rief: »Kein Zutritt für Pferde in diesem Hotel! Kein Zutritt für Pferde!«
»Mein Gott!« sagte Thurless. »Jemand ist mit einem Pferd hier durchgeritten!«
In den Deckenspiegeln bot sich mit das Bild von Tina Gianetti, kerzengerade im Sessel sitzend und mit weit aufgerissenen, glasigen Augen. Im selben Moment legte sich von hinten eine zitternde Hand auf meine Schulter. Als ich mich herumdrehte, fand ich mich Auge in Auge mit Ted Mallory wieder, der den gleichen starren Blick hatte wie Gianetti.
»Sagen Sie mir, das ist kein Anfall von Delirium tremens«, ächzte er. »Bitte sagen Sie mir, das war kein Kentaur, den ich vorbeilaufen gesehen habe!«
Ein Kentaur! dachte ich. O mein Gott! Gleichzeitig registrierte ich, daß Wendy in Ohnmacht gefallen war; Ma xim und Thurless beugten sich über sie. Von Panik beflügelt, erinnerte ich mich an Dinge, von denen mir nicht bewußt war, daß ich sie im Veranstaltungsprogramm gelesen hatte. »Der Maskenball heute abend«, versuchte ich Ted Mallory zu beruhigen. »Jemand hat sich schon in sein Kostüm geworfen.«
»Aber das Blut! Ich habe doch gesehen, daß er geblutet hat wie angestochen!«
»Tomatenketchup. Für den dramatischen Effekt...«
Hinter ihm schwangen erneut die Flügel des gläsernen Portals auseinander; Will kam hereingetaumelt, weiß wie ein Laken, und schaute mich beschwörend an. Draußen sah ich seinen Pseudo-Landrover abenteuerlich schräg auf den flachen Stufen der Eingangstreppe stehen. Für einen scheußlichen Moment dachte ich, Will wäre ebenfalls verletzt.
»Schon gut«, sagte ich zu Ted Mallory, »ich erledige das. Ich werde mich darum kümmern, wollte ich sagen. Übernehmen Sie Gianetti und die andere junge Dame.« Ich schob ihn in Richtung der Rezeption. Gianetti hatte angefangen, schrill zu lachen, es klang hysterisch, und Odile war grün.
Er schlurfte davon. Ich lief zu Will hinüber.
»Ein Kentaur!« sagte er. »Ich habe einen Kentauren angefahren, Rupert. Wir sind beide im selben Moment am selben Punkt herausgekommen, und ich habe ihn angefahren, Rupert!«
»Bleib ganz ruhig. Ich werde ihn suchen und nachsehen, wie schwer seine Verletzungen sind. Du schaffst dein Vehikel da draußen weg und auf den Belegschaftsparkplatz und kommst dann zu mir in mein Zimmer
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