Eine Frage der Balance
aufrechtzuhalten. Er sieht nämlich aus, als ob er gleich umfällt, und ich kann ihn nicht behandeln, wenn er es tut.«
In null Komma nichts waren wir alle damit beschäftigt, Marees Anweisungen auszuführen. Will und ich montierten den Hosenbügler an der Wand auseinander und improvisierten daraus unter Zuhilfenahme von Magie ein hohes, regalähnliches Gestell, auf das der Kentaur dankbar die Unterarme stützte. Seine feingezeichneten bräunlichen Züge waren vor Schmerz verzerrt, und er zitterte am ganzen Leib. Während Will und ich die Beine des gepolsterten Hockers vor dem Frisiertisch wachsen ließen, trat Maree vor den Kentauren hin und legte ihm die Hände auf die Arme. »Ich habe deinen Namen nicht verstanden.«
»Robbios«, antwortete er. »Genannt Rob.«
»Heiliger Strohsack, nicht noch ein Robbie!«
»Rob«, berichtigte der Kentaur. »Nicht Robbie.«
»Okay. Also, Rob, ich muß jetzt die Verletzung untersuchen. Ich werde mir Mühe geben, dir nicht weh zu tun, aber versprechen kann ich nichts. Nein, das reicht nicht«, sagte sie zu Will und mir, als wir Anstalten machten, den inzwischen höher gewordenen Hocker unter den Pferdebauch zu schieben. »Ich will nicht, daß er in die Knie geht, wenn er zwischendurch einen Schwächeanfall erleidet.«
Ich überließ Will den Hocker und machte mich im Laufschritt auf die Suche nach Wasserkochern. Einige der Zimmertüren standen offen, und eine müde aussehende Angestellte war mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. Kaltblütig entführte ich die Kocher aus den Räumen, in denen sie sich gerade nicht befand. Nick und ich kehrten gleichzeitig von unserer jeweiligen Mission zurück und fanden Maree bei einer - wie es mir vorkam - fachmännischen und gründlichen Untersuchung der Blessur an Robs Flanke. Nick warf einen Blick darauf, wurde kreidebleich und stürzte in mein Badezimmer, derweil ich auf dem Boden herumkroch und nach Steckern für die Wasserkocher suchte. Will hatte Rob den passend gemachten Hocker unter den Bauch geschoben und trat den Rückzug an. Er war mindestens ebenso bleich wie Nick. Nach all den Jahren begriff ich auf einmal, weshalb mein Bruder damals seinen Jugendtraum, Tierarzt zu werden, so plötzlich aufgegeben hatte.
Maree andererseits schien ganz in ihrem Element zu sein, beendete ihre Untersuchung und ging nach vorn, um Rob die Diagnose mitzuteilen. Er hatte den schwarzmähnigen Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, drehte ihn jetzt zur Seite und schaute sie an.
»Erst die guten Nachrichten«, begann sie. »Es ist nicht so schlimm, wie es aussieht. Die Verletzungen sind zum größten Teil oberflächlich, Fell, Hautschichten, einige zerrissene Muskelstränge. Du hast viel Blut verloren, aber da keine der wirklich großen Adern verletzt ist und die Blutung zum Stillstand gekommen ist, brauchen wir deswegen keine Sorge mehr zu haben. Die schlechte Nachricht ist, daß ich nähen muß. Ich habe kein Betäubungsmittel zur Verfügung, deshalb wird es weh tun.«
Rob stieß einen Ja mm erlaut, aus und schluckte. »Ich kann’s aushalten.«
»Wir könnten ihn betrunken machen. »Ich zeigte auf die Zimmerbar. »Wir haben Whisky, Brandy und Wodka.«
» Hm .« Maree musterte ihren Patienten über die Brille hinweg. »Rob, wie benimmst du dich unter Alkoholeinfluß?«
Robs Stimme wurde von Armen und Haaren gedämpft. »Nein, ich will das nicht. Wenn ich trinke, muß ich weinen.«
»Dagegen habe ich nichts. Ich will nur nicht, daß du anfängst, um dich zu schlagen. Okay, Rupert.« Sie betrachtete den Pferdeleib, schätzte sein Gewicht - vermutlich doppelt so viel, wie ich auf die Waage brachte, obwohl Rob, soweit ich es beurteilen konnte, relativ klein war für einen Kentauren. »Versuch’s mit zwei doppelten Whiskys für den Anfang.« Dann ging sie, die blutigen Hände erhoben, zur Badezimmertür und stieß mehrmals mit dem Fuß dagegen. »Nick, komm raus da! Ich muß mir das Blut abwaschen und dann meine Hände desinfizieren.«
Will hatte den Kühlschrank geöffnet, und ich nahm ihm die Fläschchen ab, die er mir reichte, als Nick aus dem Bad kam, Marees Fingernägel mit den blutigen Spitzen sah und sich stöhnend an den Türpfosten lehnte.
»Sei nicht so ein Weichei!« Maree gab ihm einen Stoß mit dem Ellenbogen. »Komm mit rein und montier diese Seifenschalen ab; ich brauche sie, um die Instrumente zu sterilisieren.«
Rob schnupperte an der aufgeschraubten Flasche, die ich ihm unter die Nase hielt, und schauderte. »Ich - ich kann
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