Eine Frage Der Groesse
darüber, dass Männer dieses Problem zumindest stärker als Frauen belastet. So erklärt die Sexualforscherin Eva Margolies, dass eine Frau, die bis jenseits der zwanzig unberührt bleibt, nur das entsprechende Stichwort zu geben brauche, um einen Lehrmeister zu finden, von Männern in unserer Gesellschaft wie selbstverständlich erwartet werde, dass sie auf erotischem Parkett aktiv und erfahren sind. Häufig werde es noch immer den Männern aufgebürdet, auf eine Frau zuzugehen und einen Kontakt herzustellen, wobei sie auf einem schmalen Grat zwischen zu passiv (»Waschlappen«, »Lachnummer«) und zu forsch (»Triebtäter«, »übergriffig«) zu wandeln haben. Männer, denen sexuelle Erfahrung fehlt, schämen sich deswegen und sind zudem von diesem Drahtseilakt überfordert, weshalb sie Frauen in sexueller Hinsicht ausweichen. Da sie mit ihren praktischen Kenntnissen weit zurückliegen, wirken sie erstens unsicher und dadurch nicht besonders anziehend auf Frauen und müssen zweitens damit rechnen, zurückgewiesen zu werden, sobald sie sich ihnen offenbaren. Schließlich wird heutzutage der selbstbewusste und erfahrene Verführer erwartet und nicht ein Amateur, »dem frau erst noch alles beibringen muss«.
Die Psychologin Beate Küpper fand in einer Charakteranalyse heraus, dass sich die Frauen unter den unfreiwilligen Singles für attraktiv hielten und hohe Ansprüche an den Partner stellten, während es sich bei den Männern umgekehrt verhielt. Auch zeigten die betreffenden Männer sehr niedrige Werte auf einer Skala der Maskulinität und entsprachen damit wohl eher einem »feministisch korrekten« Rollenmodell. »Das Problem mit mir ist, wenn Mädchen sagen, ich soll aufhören, höre ich auf«, erklärt dazu Holden Caulfield, die männliche Jungfrau in Salingers Roman »Der Fänger im Roggen«, mit der sich eine ganze Generation identifizieren konnte. Auch eine Karikatur im US-Magazin New Yorker verdeutlicht dieses Problem. Dort verabschiedet sich eine Frau von ihrem Rendezvouspartner mit den Worten: »Danke für den wundervollen Abend, Fred. Du warst der einfühlsamste, rücksichtsvollste, offenste, sensibelste, besorgteste und verletzlichste Mann, dem ich je begegnet bin. Zu schade, dass du so ein Waschlappen bist.«
Bernie Zilbergeld nennt »Schüchternheit, Angst vor Frauen, Sex oder Nähe, kein Bedürfnis nach einer intimen Beziehung oder nach Sex« oder ausschließliche Fixierung auf den Beruf ebenso als mögliche Ursachen für späte Jungfräulichkeit bei Männern wie die Angst davor, in einer engen Bindung die eigene Autonomie und sämtliche persönlichen Freiräume zu verlieren. Eva Margolies schildert anschaulich, welche Probleme Spätzünder bekommen können, sobald sie schließlich doch mit einer Frau im Bett landen. Dazu gehören neben fehlender Raffinesse oftmals auch eine verminderte Empfindungsfähigkeit beim Geschlechtsverkehr, weil der Betreffende an viel stärkere Reibung bei der Selbstbefriedigung gewöhnt ist, eine Abneigung gegen die als hässlich empfundene Vagina sowie das Unvermögen, sexuell erregt zu bleiben, ohne nicht irgendwann in eine Fantasiewelt abzutauchen und dadurch auf die Partnerin etwas weggetreten zu wirken.
Mein Versuch, dieses Thema mit meinem Buch »Unberührt« in die Medien zu bringen und damit auch die Sexualforschung und Psychologie zu einer näheren Beschäftigung damit zu bewegen, scheiterte komplett. Zwar war die Nachfrage der Medien enorm, aber sämtliche Journalisten suchten nach Betroffenen, während diese nicht bereit waren, vor die Kamera zu treten: aufgrund von Scham, sozialer Phobie oder durchaus berechtigtem Misstrauen gegenüber einer Medienlandschaft, die sich gegenwärtig weit eher durch Zynismus und Inkompetenz als durch kundige, einfühlsame Berichterstattung auszeichnet. Da insbesondere Männer in unseren Medien seit Jahren als eine Mischung aus Monstern und Versagern aggressiv niedergemacht werden, besteht hier inzwischen verständlicherweise wenig Bereitschaft, sich Journalisten gegenüber mit einem Männerproblem zu outen.
In den USA wurde im Jahr 2009 zumindest eine Studie veröffentlicht, die den Typus »erwachsene männliche Jungfrau« ein klein wenig besser beleuchtet – für Amerikaner zumindest. Es darf allerdings bezweifelt werden, ob diese Untersuchungsergebnisse auf Deutschland übertragbar sind, die der Urologe Michael Eisenberg von der University of California in San Francisco ermittelte, nachdem er über 7000 Personen zwischen 25
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