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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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besser. Wir werden auf Eisen und Beton umsteigen müssen, anders geht’s nicht.»
    «Wenn nicht bald eine wetterfeste Straße nach Kipembawe gebaut wird, muss ich meine Plantage aufgeben.»
    «Die Massai haben wirklich nicht alle Tassen im Schrank. Letztes Jahr wollten ein paar von ihnen allen Ernstes nach England aufbrechen, um die britischen Herden wieder in Besitz zu nehmen.»
    «Auf dem Landweg?»
    «Sagen Sie, ist die Straße nach Dorongo wieder passierbar?»
    Während die Herren ihren Geschäften nachgingen, tauschten die Damen neueste Informationen über Geburten, Todesfälle und mutmaßliche Ehebrüche aus, verglichen die Kleider der anwesenden Damen mit ihren eigenen und schimpften hinter vorgehaltener Hand die Gouverneurin, die wie schon im Vorjahr das unbestreitbar schönste Kleid präsentierte, eine unerträglich affektierte Pfauhenne. Kurz vor zwanzig Uhr ging dann die Pfauhenne reihum zu den rangniedrigen Damen, um ihnen aufs Wärmste für ihr Kommen zu danken, was jene richtig dahingehend deuteten, dass es für sie Zeit zu gehen sei. Den derart Gedemütigten blieb nichts weiter übrig, als vor Zorn zischelnd ihre schon ein wenig angetrunkenen Gatten in die Nacht hinauszutreiben und wenig später im Bett die jüngsten Gerüchte zu verdauen, den Hass gegen die Oberschicht zu nähren und Pläne für einen Aufstieg in dieselbe zu schmieden. Die wichtigen Leute aber – die großen Plantagenbesitzer und ihre Gattinnen, die bessere Kaufmannschaft, die hohen Kolonialbeamten und ihre Gattinnen, die Offiziere der Schutztruppe, die Konsuln der anderen Kolonialmächte sowie die drei Papenburger Schiffbauer – folgten der Einladung Ada Schnees und ließen sich im Garten der Gouverneursvilla an drei hufeisenförmig angeordneten, üppig gedeckten Festtischen nieder. Zwischen Bougainvillea und Hibiskussträuchern gab es helle Sommerkleider, weiße Leinenanzüge, eifriges Stimmengewirr. Von der Veranda aus sah man auf die glitzernden, dunklen Wasser des Indischen Ozeans hinaus. Ein sanfter, kühler Wind milderte die drückende Hitze, und vom weißschimmernden Strand drang das schwere, rhythmische Rauschen der See herauf. Hoch über dem Dach wiegten sich unter blitzenden Gestirnen die schwarzen Wipfel der Palmen. Es schmorten drei Spanferkel am Spieß, im Dunkel leuchteten weiß die Lilien, und im Parkteich nebenan quarrten die Frösche. Bierbrauer Schulze zapfte mit einem mächtigen Holzhammer zwei Fässer Hefeweizen an, die er eigens fürs Fest gebraut hatte.
    Anton Rüter, Hermann Wendt und Rudolf Tellmann setzten sich nebeneinander zu Tisch und lauschten dem Gespräch, das sich hauptsächlich um die Schlagzeilen aus der großen Welt drehte. Zwar waren die Zeitungen schon drei oder vier Wochen alt, wenn sie in Daressalam eintrafen; für die Plantagenbesitzer aus den entlegenen Provinzen aber, die sich an einen Rückstand von mehreren Monaten auf die Ereignisse gewöhnt hatten, war es trotzdem wie ein Blick in die Zukunft – ein Blick, den sie nach der Rückkehr auf ihre Plantage monatelang würden büßen müssen, da ihnen alle Nachrichten schal und veraltet erschienen. Im Garten des Gouverneurs erfuhren die Papenburger also, dass sich seit ihrer Abreise allerhand ereignet hatte. In Japan war ein Vulkan ausgebrochen und hatte siebentausend Menschen getötet sowie dreizehntausend Häuser zerstört. In Russland war Maxim Gorki begnadigt worden und durfte nach achtjährigem Exil aus Capri heimkehren. In Australien hatten drei Benz-Automobile die Tausend-Kilometer-Zuverlässigkeitsfahrt von Sidney nach Melbourne gewonnen. In Florenz war ein Dekorationsmaler namens Vincenzo Perugia verhaftet worden, der die Mona Lisa aus dem Louvre gestohlen hatte. Und in London hatte Marineminister Winston Churchill mehr Geld für die Kriegsmarine gefordert, da sonst Preußen die Herrschaft über die Weltmeere erränge. Das Essen war gut und sehr reichlich. Die Herren sprachen über Politik und Wirtschaft, die Damen hörten ernst zu. Man sprach über die Kautschukkrise, die Depression auf dem europäischen Geldmarkt und das neue Telegraphenkabel nach Nairobi – und als sich der französische, der britische und der belgische Konsul endlich zurückgezogen hatten, kam man zur Sache und sprach über das Erwachen Deutschlands, die Weltgeltung des Reichs und den legitimen Anspruch des deutschen Volkes auf neuen Lebensraum sowie die Arroganz der Briten und die Selbstherrlichkeit der Franzosen. Über die Belgier, die westlichen Nachbarn der

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