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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Kolonie, sprach man nicht. Einig waren sich die Herren insbesondere darin, dass ein Krieg zwischen den europäischen Mächten kurz bevorstehe.
    Mit besonderer Autorität äußerte sich in dieser Sache der Kommandant des Hilfskreuzers Möwe, Kapitänleutnant zur See Gustav von Zimmer. Er entstammte verarmtem Adel und hatte sich in die Kolonie versetzen lassen, um rascher befördert zu werden. «Kritisch ist die Lage, sehr kritisch sogar», sagte er und strich sich über den Schnurrbart. «Dunkle Wolken ziehen am Horizont auf, die Lage ist gespannt. Ein Waffengang scheint mir unausweichlich, sozusagen eine naturgesetzliche Notwendigkeit.»
    «Die Naturwissenschaften in Ehren», erwiderte Gouverneur Schnee. «Aber erlauben Sie mir die Hoffnung, dass der Mensch als Kulturwesen imstande ist, kraft seines Willens gewisse Naturgesetze außer Kraft zu setzen.»
    «Nichts gegen die abendländische Kultur», erwiderte von Zimmer. «Aber es ist doch gerade das restliche Abendland, das neidisch ist auf unser Erstarken. Das wird sich unausweichlich in einem Kräftemessen entladen.»
    «Mag sein, Kapitänleutnant. Dann will ich aber hoffen, dass wenigstens wir hier in Afrika vom Krieg verschont bleiben.»
    In diesem Augenblick stellte Oberleutnant Göring sein Bierglas ab, dass es knallte. «Sie wollen hoffen, Gouverneur?», rief er heiser.
    «Ich hoffe in der Tat, Oberleutnant», sagte der Gouverneur. «Sie nicht?»
    «Hoffen kann man immer, bloß hilft es selten.» Göring strich sich das fahle Haar aus der Stirn, lehnte sich weit in seinem Klappsessel zurück und schloss die Augen, als merkte er nicht, dass die gesamte Festgemeinde an seinen ungesund roten Lippen hing. Karl Görings Stimme hatte Gewicht, denn seine Familie genoss hohes Ansehen in der kolonialen Oberschicht; sein Vater war erster Reichskommissar in Deutsch-Südwestafrika gewesen, und sein ältester Bruder Wilhelm hatte viele Jahre als Stationschef am Tanganikasee gedient. Zudem galt er bei den Herren als «interessant», weil er einen jüngeren Bruder namens Hermann hatte, der bei der Luftwaffe Furore machte und ihm angeblich aus Berlin die aufschlussreichsten Briefe schickte. Die Damen hingegen fanden Karl Göring seiner prekären Gesundheit wegen «intensiv» und «existenziell». Endlich schlug er die schwarz umschatteten Augen wieder auf und schaute dem Gouverneur geradewegs ins Gesicht. «Wenn’s losgeht, werden wir als Deutsche dabei sein müssen.»
    «Gewiss», sagte Schnee.
    «Wenn das Vaterland in Gefahr ist, müssen wir ihm zu Hilfe eilen. Nicht wahr, Herr Gouverneur?»
    «Natürlich, Oberleutnant. Nur bitte ich zu bedenken, dass unser Schutzgebiet im Aufbau begriffen ist und einen Aderlass nur schwer verkraften würde.»
    «Ach ja, der Aderlass!» Görings heisere Stimme senkte sich zu einem Flüstern, und je leiser er sprach, desto gebannter hörte ihm die Tischrunde zu. Manche beugten sich vor, andere legten die Hand ans Ohr. «Der Aderlass schwächt natürlich den Volkskörper, da haben Sie recht. Andererseits haben wir da das reinigende Stahlgewitter, in dem der Volkskörper gesunden wird, nicht wahr?»
    «Oberleutnant, Ihre Koketterie hängt mir zum Hals raus», sagte Gouverneur Schnee mit unerwarteter Schärfe. «Wir sind auf drei Seiten von Feinden umstellt, und auf der vierten ist der Ozean, der ebenfalls dem Feind gehört. Wenn es zum Krieg kommt, sind wir verloren.»
    «Dann entschuldigen Sie mal bitte meine Koketterie, Herr Gouverneur.» Karl Göring ließ den Kopf in den Nacken fallen, als habe ihn das Gespräch erschöpft. «Sie haben natürlich recht. Unsere paar hundert Mann werden den Weltkrieg nicht im Alleingang entscheiden.»
    «Da sind wir Gott sei Dank mal einer Meinung», sagte der Gouverneur. «Unser Schicksal entscheidet sich in Europa. Gewinnt Deutschland den Krieg, sind die Kolonien gesichert. Verliert es ihn, gehen alle verloren.»
    «Richtig.» Göring nahm sein Sektglas zur Hand und sah sich nach einer vollen Flasche um. «Gerade deswegen müssen auch wir hier in Afrika, wenn’s losgeht, unseren Beitrag zum Sieg auf den europäischen Schlachtfeldern leisten.»
    «Jawohl, Oberleutnant. Erlauben Sie mir trotzdem zu hoffen, dass uns der Weltenbrand erspart bleibt.»
    «Wie Sie wünschen, Gouverneur. Gestatten Sie mir umgekehrt die Hoffnung, dass es bald losgeht.»
    Je länger der Abend dauerte und je mehr die Bierfässer sich leerten, desto lauter wurden die Stimmen und schlichter die Gesprächsthemen. Man vergaß den Krieg

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