Eine Frage der Zeit
und unterhielt sich übers Wetter, schimpfte übers Negerpersonal und legte dem Gouverneur dar, dass Daressalam sterbenslangweilig sei, und dass man dringend ein Opernhaus, eine Pferderennbahn und ein Filmtheater brauche. Ohne abschließendes Ergebnis blieb die Debatte über die Frage, ob man eigentlich des Kaisers zweiundfünfzigsten, achtundfünfzigsten oder sechzigsten Geburtstag feierte.
Kurz vor Mitternacht erhob sich die erste Dame unter Hinweis auf die späte Stunde und zahlreiche am folgenden Tag anstehende Pflichten, bedankte sich überschwänglich bei der Gastgeberin und wünschte allseits weiterhin einen schönen Abend. Als ihr Gatte pflichtschuldig Anstalten machte, sich ebenfalls auf den Heimweg zu begeben, tätschelte sie ihm in vorausschauender Nachsicht die Schulter, nannte ihn Männe und sagte, er solle ruhig noch bleiben. Zwei Minuten später nahm die zweite Dame Abschied, weitere zwei Minuten später die dritte, und kurz darauf gingen gleich fünf miteinander, und binnen einer halben Stunde waren die Herren unter sich und konnten dem Birnenschnaps zusprechen. Rüter, Wendt und Teilmann tranken mit. Der Birnenschnaps war ausgezeichnet, mit großer Sachkenntnis gebrannt im Klostergarten des katholischen Priesterseminars in Tabora. Der Gouverneur offerierte Virginia-Zigarren. Deutsches Liedgut wurde angestimmt. Man ließ noch mal und noch mal den Kaiser hochleben, hängte die Vestons über die Stuhllehnen, krempelte die Ärmel hoch und entledigte sich der Schlipse, knöpfte Hemdkragen auf und befreite die geschwollenen Füße aus den dampfend feuchten Reitstiefeln. Man beglückwünschte einander zu bereits vollbrachten und noch anstehenden Taten, schrie «Heil und Sieg! Heil und Sieg!» in die Nacht hinaus, rief nach mehr Bier und Schnaps, veranstaltete unter Gelächter eine Kegelpartie mit Kokosnüssen und leeren Flaschen, aus der Anton Rüter als überlegener Sieger hervorging. Dann ließ man wiederum den Kaiser hochleben und stimmte ein weiteres Mal «Heil Dir im Siegerkranz» an.
Kurz nach halb vier Uhr machte ein heftiger Wolkenbruch der Geburtstagsfeier ein Ende. Im strömenden Regen erloschen die Fackeln, die Herren suchten kichernd unter den Tischen Schutz oder flohen über den schwarzen Rasen; zwei oder drei, die sich auf hölzernen Gartenliegen zur Ruhe gelegt hatten, schliefen einfach weiter. Anton Rüter, Hermann Wendt und Rudolf Tellmann wankten Schulter an Schulter unter peitschend scharfem Donner und taghell irrlichternden Blitzen dem Hotel Kaiserhof entgegen, halfen einander die Freitreppe zum Hoteleingang hinauf und nahmen dort dankbar zur Kenntnis, dass der Nachtportier sie mit trockenen Handtüchern erwartete, worauf sie einstimmig übereinkamen, sich zum Abschluss des Abends noch einen Brandy oder zwei an der Hotelbar zu gönnen.
4
Afrikanischer Kater
Keine drei Stunden später saßen sie mit dem schlimmsten Kater ihres Lebens demütig in der Gouverneurskutsche und machten die interessante Erfahrung, dass ihnen bei jedem Schlag ihres Herzens die Augen aus den Höhlen traten und die längst verwachsenen Fontanellen in der Schädeldecke sich sekundenweise öffneten. Die Kutsche rollte sanft über die Hafenstraße, die noch feucht war vom nächtlichen Regenguss, vorbei an den Gouvernementsbüros und den Beamtenwohnungen, durch den Palmenhain und an den fünf Galgen vorbei, wo übrigens jeweils drei Tage vor und nach Kaisers Geburtstag keine Hinrichtungen vollstreckt wurden. Ada Schnee hielt ihr stummes Versprechen freundlich ein und schwieg während der ganzen Fahrt; einzig als der Gouverneur, der selbst unpässlich war und seine schwarzen Augenringe unter dem goldenen Helm versteckte, den drei Papenburgern mit halblauter Stimme ein opiumhaltiges Kopfschmerzmittel anbot und diese dankbar Zugriffen, lachte sie unbarmherzig fröhlich und sagte, der afrikanische Kater verhalte sich nun mal zum europäischen wie felis leo zu felis domestica – also wie der afrikanische Löwe zur europäischen Hauskatze. Das liege daran, dass die Dehydration des Körpers nach Alkoholgenuss in den Tropen verstärkt werde durch rege Schweißabsonderung, was eine ungewöhnlich heftige Schrumpfung der Körperzellen sowie namentlich der Gehirnzellen und mithin eine Reduktion des gesamten Hirnvolumens zur Folge habe. Diese Schrumpfung wiederum bringe es mit sich, dass sich die Hirnhaut von der Schädeldecke löse, was unvermeidlich jene außergewöhnlich heftigen Kopfschmerzen nach sich
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