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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Merken Sie sich das endlich, Gefreiter Rüter.»
    «Herr Kapitänleutnant. Entschuldigen Sie bitte.»
    «Sagen Sie, kommen Sie gut voran mit der Götzen?»
    «Jawohl, Herr Kapitänleutnant. Wir tun unser Möglichstes.»
    «Wie viele Tage noch?»
    «Ein paar Wochen.»
    «Sie sind ein undeutlicher Mensch, Rüter. Darf ich fragen, weshalb Sie vorhin gelacht haben?»
    «Ich habe nicht gelacht.»
    «Sie haben gelacht. Nicht gerade schallend, aber doch so ein bisschen, ich hab’s gesehen. Ist es die Wissmann?»
    «Jawohl, Kapitän.»
    «Ich verstehe. Das Schiff ist ein Witz, nicht?»
    «Es kann jeden Moment absaufen.»
    «Noch im Hafen?»
    «Sobald es jemandem einfällt, die Taue zu lösen.»
    «Sie müssen das in Ordnung bringen.»
    «Ich?»
    «Sie bringen die Wissmann in Ordnung.»
    «Aber die Götzen… »
    «Die lassen Sie jetzt mal in Ruhe und kümmern sich um die Wissmann. Es ist Krieg, Rüter. Wir müssen zu den Belgiern hinüberfahren und die Delcommune versenken, solange sie noch unbewaffnet ist.»
    «Wenn die Götzen erst fertig ist…»
    «So lange kann ich nicht warten. Wir hätten die Delcommune letzte Woche hier behalten sollen, als sie noch bei uns im Hafen lag. Das hat uns der Gouverneur verboten, weil er noch an den Frieden glaubte. Jetzt müssen wir hinüberfahren und sie versenken.»
    «Kapitän, das schafft die Wissmann nicht.»
    «Dann machen Sie es möglich. Bringen Sie sie in Ordnung. Was muss man tun?»
    «Die Kanonen müssen weg.»
    «Seien Sie nicht albern. Die Geschütze bleiben auf Deck. Wir wollen die Delcommune schließlich nicht mit unseren Taschenmessern versenken.»
    «Wenn Sie alle Kanonen an Bord behalten, saufen Sie ab, Kapitän.»
    «Ganz sicher?»
    «Hundertprozentig. Das dicke Ungetüm auf der Back muss weg. Und die Hälfte von den kleinen.»
    «Was noch?»
    «Der Kahn muss ins Trockendock. Neben der Götzen ist noch Platz.»
    «Wie lange?»
    «Zwei Wochen, mindestens. Eher drei.»
    «Sie haben Zeit bis morgen früh. Um fünf Uhr legen wir ab.»
    «Das ist unmöglich.»
    «Die Wissmann geht morgen früh auf Feindfahrt, Gefreiter Rüter. Das Kommando hat Oberleutnant Horn, und Sie fahren mit als Erster Maschinist. Je beschissener das Schiff, desto besser muss der Maschinist sein. Die Wissmann ist das beschissenste Schiff Afrikas, und Sie sind der beste Maschinist.»
    Anton Rüter wusste nicht, wie ihm geschah. Plötzlich war er nicht mehr Schiffbauer, sondern Soldat, und plötzlich hing sein Leben davon ab, dass er binnen vierundzwanzig Stunden ein Wrack kriegstauglich machte. Er beriet sich mit Wendt und Tellmann, und da die Lage ohne Ausweg war, schafften sie die Wissmann zur Helling und machten sich über sie her. Tellmann dichtete mit einem Trupp Arbeiter die schlimmsten Fugen und Spalten im Rumpf ab. Wendt flickte die undichten Röhrenkessel, schmierte alle Lager und baute eine zweite Lenzpumpe ein. Rüter wuchtete die Schiffsschraube aus und ließ die Munitionskisten, die in großen Stapeln auf Deck lagen, als Ballast hinunter ins Kabelgatt schaffen, damit sie dem Schiff mehr Stabilität gaben. Bei Einbruch der Nacht konnte er den Kommandanten endlich davon überzeugen, dass das alles nichts nützen würde, wenn man nicht mindestens die Hälfte der Kanonen – und vor allem das Ungetüm auf der Back – wieder an Land schaffte. Kurz vor Mitternacht bestand die Dampfmaschine ihren Probelauf, und morgens um vier Uhr hatte die Wissmann wieder Wasser unter dem Kiel und war bereit zum Auslaufen.
    In der Morgendämmerung machten zwei Marinesoldaten die Leinen los. An der Hafenmole standen Wendt und Teilmann und winkten mit ernsten Gesichtern Anton Rüter zu, der mittschiffs unter dem Sonnendach bei der Maschine stand und seinerseits den zurückbleibenden Kollegen winkte. Er fühlte sich, als werde er zum Schafott geführt, oder als sei er einer Bande wahnsinniger Geiselnehmer in die Hände gefallen. Da saßen die Kerle auf den seitlichen Sitzbänken unter dem Sonnendach, acht weiße Marinesoldaten und zwanzig Askari mit Wadenbändern und aufgenähten Reichsadlern auf den Mützen, junge Burschen von siebzehn oder achtzehn Jahren, die ältesten vielleicht Mitte zwanzig, mit flaumiger Oberlippe, arglosem Blick und kindlichem Lächeln um die Mundwinkel, lehnten Schulter an Schulter und schliefen schon wieder ein, putzten sich mit ihren Bajonetten die Fingernägel oder rauchten Zigaretten und hielten ihre Gewehre zwischen den Knien wie Steckenpferde, während sie ungeschützt und weithin

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