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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Blick.
    «Ist Ihnen klar, dass Sie und Ihre Kegelkameraden ab sofort Angehörige der Kaiserlichen Schutztruppe sind?»
    «Nein, das ist mir nicht klar», sagte Rüter. «Ich bin Angestellter der Meyer Werft in Papenburg und habe den Auftrag…»
    «Sie haben meinen Stellungsbescheid doch wohl erhalten?»
    «Jawohl.»
    «Ich habe Sie zum Gefreiten gemacht. Wendt und Tellmann sind im Landsturm.»
    «Ich fürchte, hier liegt ein Missverständnis vor, Kapitän.
    Ich stehe in einem zivilrechtlichen Anstellungsverhältnis und bin verpflichtet…»
    «Schweigen Sie. Wir haben Krieg, Gefreiter Rüter, da gibt es keine zivilrechtlichen Anstellungsverhältnisse mehr. Seien Sie froh, dass Sie vorläufig auf der Werft bleiben können und nicht gleich in die Kaserne umziehen müssen. Die Götzen ist eine kriegswichtige Aufgabe, die muss so schnell wie möglich erledigt sein. Meinetwegen können Sie, wenn es der Beschleunigung der Arbeit dient, bis auf weiteres in ihren Bretterbuden hausen und sich von ihren Negerweibern verköstigen lassen.»
    «Ich danke Ihnen.»
    «Aber am Tag nach dem Stapellauf beginnt auch für Sie die Schulung an der Waffe. Bajonettieren, Schießen, Marschieren, Handgranatenübungen. Vielleicht haben Sie Glück, und der Krieg ist bis dahin vorbei. Der Kaiser hat ja versprochen, dass wir alle wieder zuhause sind, wenn im Herbst die Blätter von den Linden fallen. Wie viele Tage also?»
    Zwar hatte der Kapitänleutnant noch keine Uniformen zur Hand, denn es gab Lieferengpässe. Aber er überreichte Rüter drei Armbinden, die Tellmann, Wendt und ihn behelfsmäßig als Heeresangehörige kenntlich machen sollten, und erteilte strenge Weisung, dass sie diese auch zu tragen und ab sofort jeden Offizier militärisch zu grüßen hätten. Als Rüter dem Kommandanten in einem letzten Anlauf darzulegen versuchte, dass ihr afrikanisches Engagement auf ein Jahr befristet sei und in drei Monaten ende, worauf sie alle drei unbedingt auf schnellstmöglichem Weg nach Hause zu fahren gedächten, sagte er nur: «Vergessen Sie das, Rüter. Es gibt keinen Weg mehr nach Hause. Für keinen von uns. Keinen langsamen, und schon gar keinen schnellen.»
    Als Anton Rüter im Morgengrauen des 21. August 1914 über den Trampelpfad hinunter zur Werft ging, lag der Hafen still und verlassen da; die arabischen Segelboote und die Einbäume der Eingeborenen waren verschwunden, hatten sich irgendwo auf dem weitläufigen See in Sicherheit gebracht vor den alles verschlingenden Krakenarmen der deutschen Schutztruppe. Einsam lag die Hedwig von Wissmann am Pier. Die Alexandre Delcommune war, sehr zum Ärger des Kapitänleutnants, gerade noch rechtzeitig über den See nach Belgisch-Kongo verschwunden. An einer Biegung des Trampelpfads blieb Rüter stehen, um sich am Anblick der Wissmann zu erfreuen. Er hatte schon immer seine Freude gehabt am altersschwachen, verwahrlosten Dampferchen, dessen zahlreiche Geburtsfehler und Altersgebresten seinen Beschützerinstinkt als Schiffbauer weckten; seit sie aber von der Schutztruppe geentert worden war, gab sie ein derartiges Bild des Jammers ab, dass er sich an ihr kaum satt sehen konnte. Die Soldaten hatten der Wissmann auf der Back eine riesige 85-mm-Kanone aufgebürdet, dazu an Backbord und Steuerbord je zwei 37-mm-Hotchkiss-Revolverkanonen sowie zwei schwere 55-mm-Revolverkanonen am Heck, und dann hatten sie viele tonnenschwere Munitionskisten an Bord gebracht und diese irgendwo gestapelt. Unter diesem Gewicht ließ die Wissmann erschöpft die Nase hängen, und am anderen Ende ging ihr Hintern derart in die Höhe, dass beim geringsten Wellengang die Schiffsschraube aus dem Wasser ragte. Rüter lachte leise auf. Falls es jemandem einfallen sollte, das Schiffchen in diesem Zustand hinaus aufs offene Wasser zu steuern, würde es unweigerlich auf den Grund des Sees sinken, und die Besatzung würde ertrinken und von den Krokodilen gefressen werden.
    Dumm war nur, dass sich ihm an jenem Morgen auf dem Trampelpfad von hinten Kapitänleutnant von Zimmer näherte. Rüter ahnte, dass diese Begegnung nicht zufällig war und nichts Gutes verhieß. Er setzte sich in Bewegung, als hätte er den Kommandanten nicht bemerkt. Aber zu spät.
    «Gefreiter Rüter!»
    «Guten Morgen, Kapitän von Zimmer.»
    «Kapitänleutnant.»
    «Verzeihung. Guten Morgen, Kapitänleutnant von Zimmer, Herr Zimmer.»
    «Sie sind auffällig fröhlich heute, Rüter.»
    «Jawohl, Kapitänleutnant.»
    «Das heißt ‹Herr Kapitänleutnant›.

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