Eine Frage der Zeit
Spicer triumphierte. «Die Admiralität hat alles Notwendige in die Wege geleitet. Man sucht schon nach einem erfahrenen Arzt, der Sie vertreten kann.»
«Man sucht bereits?»
«Was Sie brauchen, ist eine Uniform. Gehen Sie zu Gieves, der weiß Bescheid. Kennen Sie Gieves?»
«In der Bond Street. Die Admiralität sucht tatsächlich schon nach einem Ersatzmann?»
«Seit heute Morgen. Sagen Sie Gieves, dass Sie von mir kommen und eine Marineuniform brauchen. Helles Khaki.
Graublaues Hemd. Blaue Rangabzeichen. Passen Sie auf, dass er den Säbel nicht vergisst.»
«Den Säbel?»
«In meiner Einheit hat jeder Offizier einen Säbel.»
«Verzeihung, Commander, aber ich bin Arzt. Was soll ich denn mit einem Säbel – Blinddarmoperationen durchführen?»
Da trat Spicer Simson dicht an Hanschell heran, reckte das Kinn und kniff die Augen zu zwei schmalen Schlitzen zusammen. «Wenn ich Ihnen sage, dass Sie einen Säbel am Gürtel tragen, Leutnant Hanschell, dann tragen Sie einen Säbel am Gürtel.»
«Ich verstehe.»
«Und ab sofort melden Sie sich anständig, wenn Sie das Wort an einen Vorgesetzten richten. Haben Sie mich verstanden?»
«Jawohl, Commander», sagte Hanschell.
«In Zukunft verzichten Sie auf witzige Kommentare und geistreiche Bemerkungen außerhalb Ihres ärztlichen Fachgebiets. Konzentrieren Sie sich darauf, meinen Befehlen zu gehorchen. Wegtreten.»
«Jawohl, Commander.» Verwundert nahm Hanschell zur Kenntnis, dass die Entscheidung, ob er an Spicers Dschungelmission teilnehmen werde, soeben gefallen war.
14
Eine Armee mit knallbunten Negersocken
Die kleine Regenzeit neigte sich ihrem Ende zu, schon zeigte sich stundenweise die Sonne. Anton Rüter und Hermann Wendt hatten es sich gerade im Schutz der Moskitonetze auf der Kommandobrücke der Götzen zur Neunuhrpause gemütlich gemacht, als auf der Eisentreppe das Klang-Klang von Soldatenstiefeln erdröhnte. Sekunden später tauchte über der obersten Treppenstufe Korporal Schäfflers runder, mit rotblonden Borsten übersäter Schädel auf. Das war ungewöhnlich. Seit der Korporal keine Hilfsarbeiter mehr zu eskortieren hatte, war er nie mehr auf der Werft erschienen. Besorgt nahm Anton Rüter zur Kenntnis, dass er nicht grinste und sich nicht mit dem Zeigefinger an den Mützenrand tippte, sondern die Daumen im Gürtel verhakt hatte, die Lippen aufeinander presste und stoßweise durch die Nase schnaufte. Sein Blick ging aus schmalen Sehschlitzen sorgenvoll zu den Hügelkämmen hinauf, als sei dort jeden Augenblick der Einmarsch feindlicher Truppen zu erwarten. Es war augenscheinlich, dass der Korporal nicht privat, sondern in offizieller Mission unterwegs war. Und zwar in einer unangenehmen.
«Herr Kapitänleutnant von Zimmer lässt Ihnen beste Grüße ausrichten», sagte er, ohne die Hügelkämme aus den Augen zu lassen. «Sie möchten so freundlich sein, ihn in der Kaserne aufzusuchen.»
«Wir beide?», fragte Wendt.
«Wieso?», fragte Rüter.
«Sie haben heute Mittag schlag zwölf Uhr vorstellig zu werden. Herr Kapitänleutnant von Zimmer wird in Ihrem Beisein persönlich dafür sorgen, dass der verschwundene Stromgenerator wieder auftaucht.»
«Wie das denn?»
«Länger als eine halbe Stunde wird es nicht dauern. Danach können Sie wieder verfügen.»
Korporal Schäffler machte grußlos auf dem Absatz kehrt und polterte die Eisentreppe hinunter, wie er gekommen war.
Die Kaserne von Kigoma befindet sich unmittelbar hinter dem Strand in der Nyassa-Bucht, einen knappen Kilometer südlich des Hafens. Heute dient sie als Polizeistation und Distriktsgefängnis. Äußerlich hat sie sich in den hundert Jahren, die seit ihrem Bau durch die deutsche Schutztruppe vergangen sind, kaum verändert. Vier im Quadrat angeordnete, zinnenbewehrte Ecktürme sind verbunden durch viereinhalb Meter hohe, etwa fünfundzwanzig Meter lange Wehrmauern. Der Torbogen zur Straße hin wird verschlossen durch eine dicke, zweiflügelige Tür aus Eichenbohlen, deren Oberkante mit spitzen Eisendornen besetzt ist, und hinter dem Tor hängt ein schmiedeeisernes Fallgitter. Das Mauerwerk ist gleißend weiß getüncht, und in seiner ganzen Anlage hat die Kaserne das Aussehen einer Sandburg, wie sie auf allen Sandstränden der Welt von kleinen Jungen gebaut werden.
Anton Rüter und Hermann Wendt sprachen nicht viel, als sie an jenem 10. Dezember 1914 kurz vor Mittag auf dem Trampelpfad die Landzunge überquerten, um über den Strand zur
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