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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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war er der Ehemann der besten Freundin seiner Frau, und zudem verfügte der Doktor über jahrelange Erfahrung als Tropenarzt in Afrika. Spicer ging zum Telephon, ließ sich mit dem Seemannshospital an den Royal Albert Docks verbinden und Doktor Hanschell ausrichten, dass die Admiralität ihn dringend auffordere, auf der Stelle in streng geheimer Angelegenheit in Whitehall bei Commander Spicer Simson vorstellig zu werden. Die Krankenhaustelephonistin machte eine Notiz und rief einen Laufburschen herbei, und der brachte den Zettel dem Doktor auf die Station.
    Hanschell las die Nachricht, lachte leise auf und ging ans Fenster. Dringliche Aufforderung. Streng geheim. Vorstellig werden. Eigentlich hatte er keine Zeit für Spicers Kapriolen, sein Arbeitstag war reichlich angefüllt; gleich musste er zum Rapport mit den Assistenzärzten, dann standen Krankenvisiten und drei kleine chirurgische Eingriffe auf der Tagesordnung. Andererseits war er neugierig, was für eine streng geheime Angelegenheit sein exzentrischer Freund wohl ausgeheckt hatte, und es machte ihm Spaß, als Zivilist im Kasernenhofton herbeizitiert zu werden.
     
     
    «Hallo, lieber Doktor!» Spicer Simson wirkte verjüngt und aufgedreht. Er begrüßte Hanschell herzlich und ohne zu näseln, was darauf schließen ließ, dass er guter Dinge war. «Das hier ist mein Bürokollege Major Thompson, vor dem wir keine Geheimnisse zu haben brauchen. Er war ursprünglich als Führer unserer Mission vorgesehen, konnte sich aber nicht dazu entschließen. Ist es nicht so, Major?»
    «Wie geht es Ihnen», sagte der Major und schaute kurz von seinen Akten auf.
    «Danke sehr», sagte Hanschell. «Entschuldigen Sie, dass ich Sie bei der Arbeit störe.»
    «Unsinn, wir stören doch nicht», rief Spicer und legte Hanschell, was er noch nie getan hatte, die Hand auf die Schulter. «Wenn wir erst unterwegs sind, wird der Major so viel Ruhe haben, wie er sich nur wünschen kann.»
    «Unterwegs?», fragte Hanschell.
    «Wir gehen auf geheime Mission», sagte Spicer. «Sie und ich. Marineexpedition. Über Land ins Herz Afrikas.»
    «Nach Afrika?»
    Nun sah Major Thompson wiederum von seinen Akten auf, tippte sich an die Stirn und sagte: «Das-ist-ein-ganz-und-gar-unmögliches-Unterfangen.»
    «Sie meinen die Tanganika-Sache?», fragte Hanschell. «Da soll ich mitgehen?»
    «Sie… sind auf dem Laufenden?» Spicer war unangenehm berührt.
    «Meine Frau hat etwas erwähnt.»
    «Shirley?»
    «Ganz recht.»
    «Sie weiß… Bescheid?»
    «Man will ein Schiff auf dem Landweg zum Tanganikasee bringen, nicht wahr? Ihre Frau hat meiner Frau davon erzählt.»
    «Ich verstehe», sagte Spicer, trat ans Fenster und wandte dem Doktor und dem Major den Rücken zu. Als er die Fassung wiedererlangt hatte, drehte er sich um, wischte mit einer Handbewegung seine Verärgerung beiseite und sagte: «Umso besser! Dann müssen wir nicht um den heißen Brei herumreden. Hanschell, Sie sind der Mann, den ich brauche. Sie sind Spezialist für Tropenkrankheiten und haben Afrikaerfahrung, und ich kenne Sie als zuverlässigen Mann. Ich will, dass Sie als Expeditionsarzt mitkommen, im Rang eines Leutnants der königlichen Marine. Vier Monate, höchstens sechs, dann sind Sie wieder zu Hause. Was sagen Sie dazu?»
    «Ich bin alles andere als Soldat, Commander.»
    «Dann werden Sie jetzt eben einer! Die Langeweile im Krankenhaus hat für Sie ein Ende. Stehen Sie mal gerade. So. Nein, so. Und jetzt salutieren Sie. Na los, salutieren Sie!»
    Hanschell wehrte erst ab, ließ sich dann aber auf die Komödie ein und salutierte.
    «Na?», sagte Spicer. «Was sagen Sie?»
    «Ihr Angebot ehrt mich.»
    «Und?»
    «Ich werde darüber nachdenken.»
    «Da gibt’s nichts nachzudenken, mein Lieber, wir ziehen in den Kampf! Seite an Seite, für Gott, König und Vaterland! Zu den großen Seen Afrikas, auf den Spuren von Livingstone und Stanley!»
    «Das klingt sehr verlockend», sagte Hanschell, der erst jetzt Gewissheit hatte, dass Spicer es tatsächlich ernst meinte. «Ich werde darüber schlafen, dann gebe ich Ihnen Bescheid.»
    «Sie können nicht darüber schlafen, Leutnant Hanschell, dafür haben wir keine Zeit. In zehn Tagen lichten wir Anker. Die Sache eilt, wir müssen vor Beginn der Regenzeit am Ziel sein. Sie müssen sich jetzt entscheiden. Hier und jetzt.»
    «Bedaure, dann muss ich absagen. In zehn Tagen kann das Krankenhaus unmöglich Ersatz für mich finden.»
    «Niemand ist unersetzbar, mein lieber Hanschell!»

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