Eine Frage der Zeit
ganzen Güterwagen an persönlichen Ausrüstungsgegenständen mitgehen lassen. Jetzt kriegen Sie endlich Uniform. Kommen Sie heute Nachmittag zur Anprobe in die Kaserne. Sie natürlich auch, Wendt.»
«Jawohl, Kapitän. Das zersägte Schiff hier…»
«Die Kingani?»
«Wir sollen sie wieder flott machen, nehme ich an.»
«Lassen Sie mal, der Tellmann macht das schon, ich habe das bereits mit ihm besprochen. Er nietet sie zusammen, dauert keine drei Tage – falls ich seine Mimik richtig gedeutet habe. Wie läuft es mit der Götzen?»
«Wir kommen voran», sagte Rüter. «Es fehlen ein paar Teile. Wenn die wieder auftauchen, sind wir in zwei oder drei Wochen fertig. Danach brauchen wir noch mal etwa zehn Tage für die Sicherheitsprüfungen, und dann könnte man den Stapellauf…»
«Ihnen fehlen Teile?», fiel ihm der Kapitänleutnant ins Wort. «Ihnen fehlen Teile, Gefreiter Rüter?»
«Leider.»
«Wichtige Teile?»
«Der Stromgenerator. Und eine Kiste mit Schaltern und Sicherungen.»
«Der Stromgenerator fehlt? Heißt das, er war nie da? Oder ist er verschwunden?»
«Bei der letzten Inventur vor drei Monaten war er noch da. Ganz hinten im zweiten Materialschuppen. Jetzt ist er weg.»
«Weg? Wie konnte das geschehen? Haben Sie eine Erklärung?»
«Leider nein.»
«Jetzt passen Sie gut auf, Gefreiter Rüter, und überlegen Sie sich genau, was Sie mir antworten.»
«Jawohl, Herr Kapitänleutnant.»
«Ich nehme an, Sie haben gründlich nach dem Generator gesucht.»
«Selbstverständlich.»
«Sie haben sämtliche Räumlichkeiten durchsucht und alle Leute verhört.»
«Jawohl.»
«Trotzdem blieb er auf mysteriöse Art verschwunden, und Sie haben keine Erklärung dafür.»
«So ist es.»
«Ich verstehe. Nun, das wird sich klären lassen. Wir werden den Generator finden, verlassen Sie sich drauf. Er ist ein unverzichtbarer Bauteil, nehme ich an?»
«Jawohl.»
«Was geschieht, wenn die Götzen keinen Generator hat?»
«Dann fallen sämtliche elektrischen Einrichtungen aus: die Beleuchtung, die Lüftung, die elektrischen Hebekräne und die Eismaschine. Und vor allem die Ruderanlage.»
«Das Schiff ist nicht mehr steuerbar?»
«Wir haben noch das Handruder, aber das reicht nicht.»
«Verstehe. Wie schwer ist der Generator?»
«Einskommadrei Tonnen.»
«Ziemlich schwer, wenn man so was durch den Busch schleppen muss, nicht wahr? Damit kommt man nicht weit.» Kapitänleutnant von Zimmer sah hinüber zum Drehwippkran, der gerade den Bug der Kingani vom Güterwagen hob. «Wissen Sie, was ich mich frage? Wieso einer einen Stromgenerator stiehlt. Was könnte man damit anstellen, mitten im Busch?»
«Gar nichts, Herr Kapitänleutnant. Im Busch ist der Generator komplett nutzlos.»
«Nicht wahr? Sonderbar. Haben Sie eine Erklärung?»
«Leider nicht.»
«Das dachte ich mir, dass Sie dafür keine Erklärung haben. Jedenfalls wär’s das Beste für uns alle, wenn der Dieb ihn zurückbringen würde – vorzugsweise nachts, wenn niemand ihn sehen kann. Meinen Sie nicht auch?»
«Jawohl, Kapitän.»
«Und zwar am besten gleich heute Nacht. Ich rate das dem Dieb dringend. Es wäre wirklich gut, wenn ich mich nicht auf die Suche machen müsste.»
Anton Rüter schwieg.
«Aber wenn es sein muss, werde ich es tun, und dann werde ich den Generator finden. Verlassen Sie sich drauf, Rüter.»
Natürlich blieb es nicht unbeobachtet, dass mitten in London Gebäude in die Luft flogen und Kanonen ins Wasser fielen. Aber Commander Spicer Simson achtete streng darauf, dass seine Mission geheim blieb. Er verschloss sorgfältig die Bürotür, wenn potenzielle Expeditionsteilnehmer bei ihm vorstellig wurden, und bevor er ihnen die Einzelheiten des Unternehmens auseinandersetzte, verpflichtete er sie zu äußerster Verschwiegenheit. Auch seine Gattin Amy verriet niemandem außer ihrer Freundin Shirley Hanschell ein Sterbenswort. Trotzdem tauchten schon wenige Tage nach den ersten Rekrutierungsgesprächen zwielichtige Gestalten in Spicers Büro auf, die in der Kneipe von der Expedition gehört hatten und gern dabei sein wollten, wenn ein Kriegsschiff durch den Dschungel geschleppt wurde.
In jenen Augenblicken wünschte Spicer sich sehr, dass ihn mindestens ein echter Freund, dem er vertrauen konnte, auf der Reise begleitete. So verfiel er eines Morgens auf die Idee, Doktor Hanschell als Expeditionsarzt anzuwerben. Dieser war zwar Zivilist und nicht gerade das, was man einen engen Freund nannte, aber immerhin
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