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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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Ankunft in Albertville erfahren, dass es auf dem See nicht nur ein feindliches Boot, sondern gleich drei deutsche Dampfschiffe gab. Bisher hatte sein Befehl gelautet, herzukommen und ein altersschwaches Dampferchen zu versenken; wenn daraus nun zwei Dampferchen wurden, machte ihm das nicht viel aus. Etwas ganz anderes aber war die Götzen, von deren Existenz bis vor kurzem niemand – auch kein Belgier – gewusst hatte. Wenn sie tatsächlich so groß und stark und schnell war, wie man sich erzählte, und wenn sie wirklich so furchterregend große Kanonen an Bord hatte, würden Mimi und Toutou es im Kampf schwer haben, das war Spicer klar. Vorläufig aber mochte er sich darüber nicht den Kopfzerbrechen. Sein Auftrag lautete, die Wissmann zu versenken, und den würde er ehrenvoll erfüllen. Alles Weitere würde sich weisen. Spicer nahm das Fernglas aus dem Futteral und unterzog die Kingani einer eingehenden Musterung. Der stählerne Rumpf war rostig, die hölzerne Kabine hinter dem Schornstein verwittert. Auf der Back stand ein Geschütz, vor dem Schornstein standen zwei Offiziere in weißen Uniformen und mit weißen Tropenhelmen. Der eine hielt wie Spicer ein Fernglas vor den Augen, der andere einen Photoapparat.
    «Schaut ihr nur», dachte Spicer. «Guckt nur her, ihr kleinen Oberleutnants, und macht Photos, solange ihr wollt. Alles, was ihr hier sehen könnt, sind vierhundert Eingeborene und ein paar Weiße, die Steine schleppen, nicht wahr? Natürlich wüsstet ihr gern, was die Schlepperei soll. Eine Art Hafen bauen wir hier, so viel ist euch schon klar, aber wozu? Für welches Schiff? Das fragt ihr euch und kratzt euch am Schädel, denn das einzige Schiff, das die Belgier hatten, habt ihr ihnen ja zusammengeschossen, nicht wahr? Dass es die Royal Navy ist, die hier einen Hafen baut, könnt ihr nicht sehen, denn ich habe meinen Männern befohlen, zur Arbeit Hemden und Hosen ohne Rangabzeichen anzuziehen, und meine Schiffe könnt ihr auch nicht sehen, weil ich, Acting Commander Spicer Simson, den Weitblick hatte, Mimi und Toutou im Gebüsch zu verstecken. Wartet nur, ihr Oberleutnants, wartet nur ein wenig, bis der Hafen fertig ist und meine zwei Schiffchen im Wasser liegen, und dann kommt noch mal vorbei mit eurer Rostschüssel und fahrt mir noch mal frech vor der Nase herum!»
    Spicer verstaute sein Fernglas im Futteral, packte die Schubkarre an beiden Griffen und schob sie entschlossen an. Vier Wochen Steineschleppen noch, höchstens fünf, dann würde die Stunde des Ruhmes schlagen.
     
    Telegramm vom 11. Dezember 1915 an den Staatssekretär in Kapstadt. Ein schwerer Sturm hat unseren Hafen beschädigt, Stapellauf der Boote verschiebt sich um eine weitere Woche.
     
    Gezeichnet: Acting Commmander G. B. Spicer Simson R. N. Albertville.
     

 
    20
    Demütiger Sieger und großmäuliger Verlierer
     
     
     
    Albertville, 27. Dezember 1915
    Meine geliebte Shirley! Eben hat mein belgischer Freund und Sanitätshauptmann Zetterland mich benachrichtigt, dass er endlich, endlich wieder einen Kurier zur Hand hat, der geheime Post mit nach Europa nimmt. Ich beeile mich, ihm die Briefe, die ich Dir die letzten Monate über geschrieben habe, mitzugeben. Wie Du siehst, habe ich sie mit Rotstift in chronologischer Reihenfolge nummeriert; dies für den Fall, dass Du Dir die spannende Frage, ob ich am Leben geblieben sei, bis zum Schluss offen halten möchtest. Nun ist es heraus, ich bin noch da – ich bin immer bei Dir, das weißt Du ja. Meinen ersten Atemzug habe ich getan, als wir uns begegneten, und meinen letzten werde ich tun, wenn Du mich verlässt. – Zetterland wartet vor der Tür, ich muss rasch, rasch schreiben!
    Hier also in aller Eile mein Bericht über die letzten Tage, die ich als die absonderlichsten Weihnachtstage meines Lebens in Erinnerung behalten werde. Wie glücklich wir waren, als nach zweimonatiger Plackerei der Hafen endlich fertig war, habe ich Dir in meinem vorletzten Brief geschrieben. Was für ein Fest es war, als wir Mimi und Toutou am 22. und 23. Dezember aus ihren Verstecken holten und in nur zwanzig Minuten zu Wasser ließen, steht im letzten Brief. Jetzt bleibt mir nur noch, Dir meine Weihnachtstage zu rapportieren, in denen ziemlich viel los war. Ich selbst habe zwar immer nur tatenlos zugeschaut, wie es nun mal meine Art ist – aber immerhin bin ich Augenzeuge glänzendsten Heldenmuts und erbärmlichster Barbarei geworden, habe einen genialen Feldherrn am Werk gesehen, einem demütigen

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