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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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großer Zahl in den dunklen Ecken der Kabinen lauern, Gelegenheit zum Stechen gibt. Empfehle Ersatz der hölzernen Kojen durch großzügiger proportionierte und leicht zu reinigende Stahlbetten.
Beide Ladebäume sind zu kurz.
Der Luftzug des Schornsteins sollte verbessert werden, indem dieser um etwa zwei Meter verlängert wird.
     

 
    19
    Ein sicherer Hafen
     
     
     
    Es war ein großer Augenblick in Commander Spicer Simsons Leben, als er an der Spitze des Zuges einen Hügel erklomm und zu seinen Füßen den Tanganikasee erblickte, der sich meergleich und silbern schimmernd bis zum Horizont erstreckte. Er schloss für ein paar Sekunden die Augen, atmete tief durch und gab das Signal zum Anhalten. Hätte er seinem Temperament freien Lauf gelassen, so hätte er den Schwung des langen Marsches ausgenützt und Mimi und Toutou geradewegs ins Wasser werfen lassen, wäre ohne Zeitverlust hinüber ans deutsche Ufer gefahren und hätte die Wissmann in einem Überraschungsangriff zu Klump geschossen. Sechs Stunden Hinfahrt und zehn, allerhöchstens zwanzig Minuten Gefecht, dann sechs Stunden Rückfahrt, Ankunft im Hafen von Albertville spätestens im Morgengrauen des folgenden Tages. So hatte Spicer sich das tausendmal ausgemalt. Dann wäre die Aufgabe erledigt, die Mission erfüllt, die Schlacht gewonnen. Die Deutschen würden sich die Augen reiben und die Belgier sich wundern, und Spicer würde seine Männer zu einer kleinen Abschiedsparade aufbieten, dann auf dem Absatz kehrtmachen und den Heimweg unter die Füße nehmen – selbstverständlich ohne Mimi und Toutou, die ihre Schuldigkeit dann getan haben würden. Die zwei Holzschüsseln würde er den Belgiern überlassen, genauso wie den ganzen übrigen Expeditionskram, den er auf dem Rückweg nicht mehr benötigen würde. Spätestens sieben Wochen später würde er im Triumph in London einziehen und seine Gattin Amy in die Arme schließen. Er würde die Huldigungen der Admiralität und jene der jubelnden Massen entgegennehmen, und er würde beim König Tee trinken, sich in den erblichen Adelsstand erheben und zum Ritter schlagen lassen, und von da an würde er sein Leben damit zubringen, in den vornehmsten Clubs und Salons der Metropole Vorträge zu halten und bei schicken Galadinners als Ehrengast aufzutreten. Er würde wohltätige Stiftungen gründen und Schulen, Parks und Straßen eröffnen, die seinen Namen trugen, und er würde seine Memoiren schreiben und Empfehlungsschreiben für junge Marineoffiziere verfassen, und er würde Amy zuliebe privat und inkognito eine Weltreise durch sämtliche Länder des Britischen Commonwealth unternehmen.
    Eines aber hatte Spicer Simson im Verlauf seines bisherigen Lebens gelernt: dass es stets zu Schwierigkeiten führte, wenn er seinem Temperament freien Lauf ließ. Schwierigkeiten aber wollte er diesmal um jeden Preis vermeiden, und deshalb bezwang er auf jener Anhöhe sein Naturell und verzichtete kühlen Kopfes auf den Sturmangriff, den er mit jeder Faser seines Herzens herbeisehnte. Spicer zwang sich zu Geduld, weil er mit ruhiger und starker Gewissheit fühlte, dass er am Kulminationspunkt seiner Existenz angelangt war. Endlich stand er vor der großen, heroischen Tat, derentwegen sich die Nachwelt seiner erinnern würde. Endlich war er im Vollbesitz seiner Kräfte und frei von allen Fesseln, und endlich stellte sich seinem Heldenmut kein pistazienkernkauender Spießbürger und keine prüde Beamtengattin mehr in den Weg, sondern nur noch der Feind, dem er mit offenem Visier entgegenzutreten gedachte. Dieser See hier, der sich glitzernd zu seinen Füßen ausbreitete, war Spicers persönliches Feld der Ehre, auf dem sich im Augenblick der unerhörten Tat die besten Eigenschaften seines Wesens kristallisieren würden. Sehr bald schon würden sämtliche Freuden und Leiden seiner bisherigen Existenz nichts weiter mehr gewesen sein als Vorbereitungen auf das Drama, das sich hier in den nächsten Tagen ereignen würde; und die Jahre, die hernach noch folgen mochten, würden eine einzige Rückschau sein.
    Deshalb durfte jetzt nichts schiefgehen. Oft genug hatte er es erlebt, dass der böse Zufall, die blinde Ungerechtigkeit oder übelwollende Arglist ihm ein Bein stellten. Diesmal würde er mit größtmöglicher Umsicht ans Werk gehen und jeden Zufall, jedes Missgeschick und jeden bösen Streich ausschließen. Das Wichtigste war, sich Zeit zu nehmen und nichts zu überstürzen. Spicer würde nicht den Fehler machen, sich wie ein

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