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Eine Frage der Zeit

Eine Frage der Zeit

Titel: Eine Frage der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Capus
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«Dieser Strand, die Bucht, die Bäume dort hinten – das erinnert ein wenig an Helgoland, nicht wahr?»
    «Gewiss, meine Liebe», erwiderte mit angestrengter Munterkeit der Gouverneur, der hinter ihr aus dem Salonwagen stieg. «Nur dass auf Helgoland, soviel ich weiß, die Flamingos und Krokodile seit ein paar Jahren ausgestorben sind.»
    Da trat der Kapitänleutnant einen Schritt vor, salutierte und küsste der Gouverneurin die Hand.
    «Meine Verehrung, Exzellenz», sagte er. «Ich freue mich festzustellen, dass der Krieg Ihrer Schönheit nichts anhaben kann. Ihnen ist gewiss bekannt, dass man Sie in Offizierskreisen die Weiße Rose Afrikas nennt.»
    «Sie sind ein Schmeichler, Kapitän!» Die Gouverneurin ließ ihr perlendes Lachen hören. «Selbstverständlich kann mir der Krieg etwas anhaben, wie jedem von uns, sogar eine ganze Menge! Letzten Monat beispielsweise hat er mir mein Zuhause weggenommen!»
    «Den Gouverneurspalast?»
    «Schutt und Asche. Ein britisches Kanonenboot hat ihn für Zielübungen verwendet, als wir gerade nicht in Daressalam waren. Nicht dass das wichtig wäre, schließlich haben wir Krieg. Aber immerhin ist meine gesamte Garderobe verbrannt, alle Bettwäsche und sämtliches Geschirr, meine Fotoalben und meine Haarbürsten – einfach alles.»
    «Mein Beileid.»
    «Ach was, Beileid! Die Welt hat zurzeit weiß Gott andere Probleme. Ich habe mir halt ein paar neue Kleider aus Araberbaumwolle machen lassen. Unter den Linden würde ich damit wohl keine gute Figur machen, aber da ich nun sowieso Soldat werde und zu den Truppen gehe…»
    «Sie sind uns als Rekrut jederzeit willkommen, Exzellenz», sagte der Kapitänleutnant und lächelte verbindlich. «Wann immer Sie wollen.»
    Währenddessen stand Anton Rüter in Habtacht-Stellung in der Sonne und beobachtete das höfische Begrüßungszeremoniell mit unterdrückter Schadenfreude. Helgoland, der Handkuss, Offizierskreise, die Weiße Rose Afrikas – Rüter wusste, wie viel Selbstbeherrschung den Kapitänleutnant diese Galanterien kosteten, und wie schwer ihm, der seit Monaten unter rasenden Kopfschmerzen, brennendem Durchfall und beißendem Juckreiz litt, allein schon sein verbindliches Lächeln fallen musste.
    Für den Gouverneur hingegen empfand Rüter keine Schadenfreude, sondern hauptsächlich Mitleid und ein wenig Verachtung. Seit der letzten Begegnung in Daressalam schien er stark gealtert; sein Blick wanderte ruhelos am Boden umher, und sein Mund verzog sich nach allen Seiten, als würde er mit der Zunge nach Speiseresten zwischen den Zähnen suchen. Mit der linken Hand hielt er die rechte fest – wahrscheinlich, um ein Zittern zu verbergen.
    Was nun aber die Gouverneurin betraf, die äußerlich ganz unverändert schien und augenscheinlich Wert darauf legte, sich ungeachtet des Krieges, des mörderischen Klimas und der feindseligen Natur jederzeit wie eine Romanheldin von Jane Austen zu benehmen, so stellte Rüter fest, dass er ihr gegenüber keinerlei Faszination mehr empfand, sondern nur noch sexuelle Gier. Die Gouverneurin war ein Weib mit Schenkeln und Brüsten und einem Hintern, und er war ein Mann, der schon sehr lange allein war. Rüter wartete gespannt auf den Moment, da sein Blick sich mit ihrem kreuzen würde. Aber noch war es nicht soweit.
    «Schauen Sie, was wir Ihnen mitgebracht haben, Kapitän!», rief sie und fasste von Zimmer am Ellbogen. «Die Bordgeschütze der Königsbergs die uns die Engländer versenkt haben. Wir haben sie eigens für Sie geborgen.»
    «Kaliber hundertfünf Millimeter, Reichweite acht Seemeilen», fügte der Gouverneur erklärend hinzu, während der Kapitänleutnant auf den Tieflader kletterte und einen fachmännischen Blick in die Mündungen der Kanonenrohre warf. «Damit versenken Sie jeden Belgier und jeden Briten, der sich dem Hafen in unfreundlicher Absicht nähert, bevor er weiß, was los ist. Die eine Kanone stellen Sie am Hafen auf, die andere auf der Götzen, die braucht endlich mal ein anständiges Geschütz. Läuft mit dem Kahn jetzt eigentlich alles rund?»
    «Die Schiffbauer geben ihr Bestes», erwiderte der Kapitänleutnant.
    In der Zwischenzeit war Hauptmann Göring aus dem vorderen Mannschaftswagen gesprungen und hatte seine Askari mit zwei, drei heiseren, halblauten Befehlen antreten lassen. Ihm gegenüber empfand Anton Rüter unwillkürlich Hochachtung. Zwar waren Görings Augenringe schwärzer denn je und die Lippen noch immer ungesund rot, aber seine Gestalt und seine Bewegungen

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