Eine Frage der Zeit
mir wirklich glauben – eine blütenweiße kleine Ziege. Da die Ziege das einzige lebendige Wesen an Bord war, packte ich sie am Halsband und ging mit ihr zur Reling, um sie an Land zu bringen; da neigte sich unter meinem Gewicht und jenem der Ziege die Kingani zur Seite, und die verstümmelte Leiche des deutschen Kapitäns, die bis dahin am Schutzschild gelehnt hatte, fiel hart vornüber.
In diesem Augenblick kletterte Spicer Simson an Bord, gefolgt von einer unübersichtlichen Menge von Offizieren, Soldaten und Eingeborenen, die alle aufgeregt durcheinander redeten, schrien und lachten. Erstaunt nahm ich zur Kenntnis, dass Spicer, der eben noch still und verzagt am Strand gesessen hatte, jetzt plötzlich in ganz aufgeräumter Stimmung war, und dass er das Bad in der Menge genoss. Er paradierte über den eroberten Dampfer, dessen Deck eine einzige große Blutlache war, saugte die Wangen zwischen die Zähne ein, hob die Augenbrauen und nahm unter halb geschlossenen Lidern lauthals eine Zählung der Einschüsse vor, wobei er auf ein Total von zwölf Treffern kam.
«Kanonier Waterhouse! Wie viele Schüsse haben wir abgegeben?»
«Dreizehn, Sir.»
«Und zwölf Einschüsse! Zwölf Treffer bei dreizehn Schüssen – das nenne ich eine ziemlich gute Leistung, nicht wahr?»
«Wie man’s nimmt, Sir. Ich fürchte, wir haben doch ein paar Mal ins Wasser geschossen.»
«Unfug, mein lieber Junge! Sie sehen doch die Einschläge.»
«Mit Verlaub, Sir», antwortete Waterhouse, der ein aufrichtiger und bescheidener Mensch ist. «Die meisten Einschläge stammen, wenn ich mich nicht irre, von Granatsplittern, die würde ich nicht einzeln als Treffer zählen. Und dann hat Toutou ja wohl auch ein paar Projektile abgefeuert.»
«Mein lieber Junge», näselte Spicer, «Sie müssen noch viel lernen. Erstens war Toutou viel zu weit entfernt, und zweitens bin ich doch wohl noch in der Lage, einen Splittereinschlag von einem richtigen Treffer zu unterscheiden, meinen Sie nicht? Die ganze Sache erinnert mich übrigens an jenes Seegefecht vor Schanghai, an dem ich als junger Kanonier bei Windstärke zwölf und ziemlich schwerer See mit meinem Siebenpfünder…»
Und während er erzählte, beugte er sich zur Leiche des deutschen Bootsführers hinunter, der bäuchlings mit weit ausgestreckten Armen im eigenen Blut lag, nahm ihm den Siegelring vom Finger und steckte ihn sich an den Ringfinger der rechten Hand. –Meine geliebte Shirley, jetzt steht Hauptmann Zetterland vor mir – die Geduld ist ihm ausgegangen, und Zigaretten hat er auch keine mehr! Ich liebe Dich, ich küsse Dich und verzehre mich nach Dir. Lang kann’s nicht mehr dauern, dann bin ich wieder zuhause. Gesundheitlich geht es mir übrigens bestens, abgesehen von gelegentlichen Malariaschüben, gegen die aber meine tägliche Dosis von einem Gramm Chinin Wunder wirkt.
Immer Dein:
Hother McCormick Hanschell.
21
Was für ein hübscher Flecken Erde!
Dann kam der Tag des Wiedersehens mit Ada Schnee, der blütenweißen Gouverneurin. Sie reiste im Salonwagen der Mittellandbahn nach Kigoma, und als Gastgeschenk für Kapitänleutnant Gustav von Zimmer brachte sie in einem offenen Güterwagen die zwei größten Kanonen mit, die sie in ganz Ostafrika hatte finden können. Die Kanonen schimmerten bleiern unter dem wolkenverhangenen Himmel, als der Zug in einer letzten Schleife der Hafenbucht entlang in den Bahnhof einfuhr. Übrigens reiste die Gouverneurin nicht allein, sondern in Gesellschaft ihres Gatten, und am Ende des Zuges waren zwei Mannschaftswagen angehängt, in denen als Geleitschutz die 4. Feldkompanie unter dem Kommando Hauptmann Karl Ernst Görings mitfuhr. Der Zug kam an genau jener Stelle zum Stillstand, an der der Kapitänleutnant mit sämtlichen einigermaßen gesunden Männern Aufstellung genommen hatte. Anton Rüter, Hermann Wendt und Rudolf Tellmann standen in der vordersten Reihe, wie der Kapitänleutnant es angeordnet hatte, und waren von Kopf bis Fuß in vollständige, einwandfrei sitzende Uniformen der kaiserlichen Schutztruppe gekleidet. Alle Mann beobachteten, wie die Tür des Salonwagens aufging und die Gouverneurin erschien. Ada Schnee war wie gewohnt in strahlendes Weiß gekleidet. Ihre hellblauen Augen leuchteten jugendlicher denn je, und ihre perlenweißen Zähne zwischen den rosa Lippen waren makellos wie stets.
«Was für ein hübscher Flecken Erde!», rief sie, während sie übers Treppchen hinunter in den roten Staub glitt.
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