Eine Frage der Zeit
Situation natürlich gestellt, was unschwer daran zu erkennen war, dass der Restaurator nicht etwa auf das Gemälde schaute, sondern mit einem leichten Lächeln in Heiners Kamera blickte.
„Ein Restaurator bei der Arbeit. Sieht für mich völlig normal aus“, meinte Marcks. „Vielleicht ist es die Uhr? Wer würde schon bei der Arbeit mit Lösungsmitteln oder anderen aggressiven Chemikalien einen sündhaft teuren Schweizer Chronometer tragen?“
„Vermutlich niemand. Aber vielleicht sehen wir auf dem Foto schon die gefälschte Uhr.“ Er betrachte das Bild noch eine Weile und wandte sich schließlich resigniert ab. „Es bringt nichts, wenn ich jetzt noch eine Stunde darauf starre.“
„Irgendwann wird es Ihnen einfallen, Chef. Manchmal braucht es dazu einen Kick von außen.“ Sie sah auf die Uhr: „Dreizehn Uhr. Was machen wir jetzt?“
„Kreutzer hat angeordnet, dass ich Ihnen ‚jeden Stein in Waldenthal’ zeigen soll. Also sehen wir uns jetzt die Innenstadt an und ich stelle Ihnen Luigi vor.“
Im Hinausgehen bat Velten Renate Knab, aus seinen alten Unterlagen zum Kunstraubfall die Kontaktdaten von Nicole Hammes herauszusuchen und einen Termin mit der Freundin des verschollenen Thomas Schatz zu machen. Über den möglichen dritten Kunsträuber war nicht viel bekannt. Vielleicht konnte seine frühere Lebensgefährtin ihnen ja brauchbare Hinweise zu den Umständen der Tat und zum Verbleib ihres vermissten Partners geben.
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Luigi war der Inhaber einer Pizzeria in einer Seitenstraße der Fußgängerzone. Er sah Danny DeVito verblüffend ähnlich und machte die anerkannt beste Pizza im Umkreis von zehn Kilometern. Velten verbrachte seine Mittagspause viel lieber in dem schlicht eingerichteten Lokal als im Resopalambiente der Kantine im Pressehaus. Das lag zum einen daran, dass der Verlag den Betrieb der hauseigenen Küche outgesourct und einem Caterer übertragen hatte, der eher billig als günstig arbeitete. Vor allem aber schätzte Velten die Kochkünste von Luigis Mutter, die in der kleinen Küche hinter dem Gastraum kulinarische Höchstleistungen vollbrachte. Zumutbare Alternativen zu Veltens Lieblingspizzeria gab es im Zentrums Waldenthals kaum noch. In den letzten Jahren hatten viele alteingesessene Lokale schließen müssen. Ihren Platz nahmen zumeist Fast Food - Ketten ein, in die er freiwillig keinen Fuß setzen würde.
„Womit machen wir weiter?“, fragte Marcks, als die beiden ihre Mahlzeit beendet hatten.
„Ich würde mich gerne mit Stürmers damaliger Freundin über diese SMS unterhalten. Wir wissen noch zu wenig über die Art der Beziehung zwischen unserem Restaurator und dem Zuhälter Fleischmann.“
„Wo finden wir sie?“
„Keine Ahnung.“ Velten blätterte in den Notizen, die er während des Gesprächs mit Susanne gemacht hatte: „Sie heißt Marion Clarke.“
„Sie scheint Amerikanerin oder Britin zu sein.“
„Bis in die neunziger Jahre gab es in der Stadt eine große US-Garnison. Die GIs haben nicht nur viel Kaufkraft hier gelassen, sondern auch den Genpool der Waldenthaler Bevölkerung sehr bereichert. Vermutlich stammt auch Marion Clarke aus einer Beziehung zwischen einer Deutschen und einem Amerikaner.“
Marcks nahm ihr Smartphone aus der Tasche und tippte etwas hinein. „Ich habe den Namen gegoogelt: einer Marion Clarke gehört offenbar ein Geschäft namens Clarke & Omlor . Das scheint eine Boutique in der Schlossstraße zu sein. Ich wusste nicht, dass es in Waldenthal ein Schloss gibt.“
„Gibt es auch nicht und gab es nie. Unterhalb der heutigen Schlossstraße am Schlossplatz befand sich früher das Domizil des alten Landgrafen Konrad. Sie wissen schon: der Dicke mit der Operettenuniform, dessen Gemälde im Rathaus hängt. Schloss dürfte ein unverschämter Etikettenschwindel sein. In Wahrheit war Konrads Residenz wohl eher bescheiden. Heute steht dort unser Museum.“
Sie zeigte ihm das Impressum der Firmenhomepage auf dem Handdisplay: „Ist das in der Nähe? Dann könnten wir gleich versuchen, mit Marion Clarke zu sprechen.“
„Das ist keine fünf Minuten von hier, oberhalb des Rossbrunnens“ Fasziniert betrachtete Velten die gestochen scharfe Darstellung der Internetseite auf dem kleinen Monitor. Er legte sein betagtes Mobiltelefon auf den Tisch: „Ich sollte vielleicht auch auf ein aktuelleres Modell umsteigen.“
Sie lachte: „Der Knochen ist ja fast so alt wie Ihr Mercedes. Was kann man damit machen außer telefonieren?“
„SMS
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