Eine Frage der Zeit
Stürmers Habseligkeiten zu: „Hier, für die vierte Gewalt. Hast du noch Fragen?“
Velten tippte auf den Ausdruck mit Stürmers letzten SMS-Mitteilungen: „Nur eine. Warum habt ihr diesen Zuhälter Fleischmann nicht hochgenommen? Diese Kurznachricht liest sich doch so, als wollten sich die beiden Kunsträuber nach vollbrachter Tat treffen, um den Lohn ihrer ‚Arbeit’ aufzuteilen.“
„Das nahmen die Kollegen seinerzeit auch an. Sie vermuteten, dass Stürmer die gestohlenen Bilder direkt nach der Tat einem unbekannten Auftraggeber übergeben und dafür kräftig abkassiert hatte. Die Gemälde waren ja etliche Millionen wert. Die SMS wurde so interpretiert, dass sich die beiden für sechzehn Uhr dreißig verabredet hatten, vermutlich auf dem Parkplatz bei Eppenbrunn, wo Stürmers Wagen gefunden wurde.“
„Und dann entschied Fleischmann, vielleicht mit Schatz zusammen, seinen Komplizen um seinen Anteil zu bringen. Er zwang ihn mit vorgehaltener Waffe zu einem Waldspaziergang und schlug ihm den Schädel ein. Scheint mir plausibel.“
„Vergiss die Leiche vom Supermarktparkplatz nicht“, erinnerte ihn Susanne. „Martin Rothaar war im Besitz von Stürmers Uhr.“
Velten rieb sich das Kinn. „Ja, den hatte ich vergessen. Wie passt er in das Szenario?“
„Wir wissen, dass er im gleichen Milieu verkehrte wie Fleischmann. Die beiden haben sich mit Sicherheit sehr gut gekannt. Sie könnten Komplizen gewesen sein.“
„Also bestand die Räuberbande aus dem Restaurator und Kunstexperten Stürmer, der sicher der Kopf der Truppe war, dem Zuhälter Fleischmann, dem Ex-Knacki Schatz und dem aktenkundigen Kunstdieb Rothaar. Das klingt doch alles sehr schlüssig“, fand Velten. „Wie hatte Fleischmann Stürmers SMS an seine Freundin erklärt?“
„Er präsentierte meinen Kollegen einen Vertrag, aus dem hervorging, dass er Stürmer lange vor dem Kunstraub ein Darlehen über einhunderttausend Euro gewährt hatte. Vermutlich handelte es sich dabei um Spielschulden. Fleischmann hat ausgesagt, Stürmer habe ihm das Geld am Tag seines Verschwindens in die Mausefalle bringen wollen. Dass das Geld aus dem Raub stammte, habe er nicht ahnen können. Fleischmann will um sechzehn Uhr dreißig in seinem Club auf Stürmer gewartet haben, aber der sei zu dem Termin überhaupt nicht erschienen. Eines seiner Mädchen hat diese Version bestätigt. Dieses Alibi mussten die Kollegen akzeptieren, auch wenn es vermutlich nicht viel wert ist.“
„Stürmer war also ein Zocker?“
„Allerdings“, bestätigte Susanne. „Er verlor Unsummen bei Pokerrunden mit Fleischmann und seinen Freunden. Außerdem spielte er ebenso leidenschaftlich wie erfolglos in den Kasinos der Umgebung. Er stand nicht nur bei dem Zuhälter in der Kreide, sondern hatte praktisch alles versetzt und beliehen, was er besaß.“ Sie sah auf die Uhr: „Wir müssen zum Ende kommen. Ich habe in zehn Minuten einen Termin mit Philip Germann wegen eines Prozesses, der nächste Woche beginnt.“
„Ach ja, der dynamische Staatsanwalt. Ich war überrascht, dass er an der Pressekonferenz teilnahm.“
„Er war zufällig im Haus und wollte gerne dabei sein. Die Polizeipräsidentin hatte nichts dagegen.“
„Du scheinst dich gut mit ihm zu verstehen.“
Susanne lachte: „Netter Versuch. Lass uns heute Abend weiterreden. Hast du einen guten Rotwein im Haus?“
- - -
Es war schon fast Mittag, als Velten in der Redaktion eintraf. Marcks saß am Rechner und baute eben ein Foto der Pressekonferenz in ihren Artikel ein. Auf dem Bild waren Polizeipräsidentin Räder und Susanne vor dem Panoramafoto im Konferenzraum der Polizei zu sehen. Der Beitrag enthielt auch Polizeifotos von Martin Rothaar und der gefälschten Luxusuhr.
„Warum trug Stürmer eine gefakte Uhr?“, fragte sich Marcks.
Velten setzte sich an seinen Schreibtisch. „Er hatte immense Spielschulden und war restlos pleite. Das hat mir Susanne eben erzählt. Wenn er jemals eine echte Luxusuhr besessen haben sollte, lag sie zum Zeitpunkt seines Todes sicher längst in irgendeinem Pfandhaus.“
„Also hat er sich für ein paar Euro eine falsche Nobeluhr besorgt und seine Initialen eingraviert, um weiter auf dicke Hose machen zu können?“
„Das wäre möglich.“ Velten erzählte ihr ausführlich von seinem Gespräch mit Susanne und schob ihr die beiden Ausdrucke über den Tisch. Sie studierte die Liste von Stürmers Habseligkeiten aufmerksam und las seine SMS laut vor: „’Treffe
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