Eine Frage der Zeit
Fleischmann 16/30h + gebe ihm sein Geld. Liebe dich. A.’. Das klingt schon sehr nach einer Verabredung zum Aufteilen der Beute“, fand sie. „Es wundert mich, dass die Polizei diesem Fleischmann seine Geschichte, wonach Stürmer ihm lediglich seine Spielschulden zurückzahlen wollte, tatsächlich abgekauft hat.“
„Seine Version war nicht so ohne weiteres von der Hand zu weisen. Immerhin hat eine seiner Prostituierten sein Alibi sogar bestätigt. Und außer der SMS hatte die Polizei gegen den Zuhälter nichts in der Hand.“
Marcks zuckte die Achseln: „Ich habe übrigens noch ein älteres Foto von Stürmer im Morgenkurier gefunden. Vor ein paar Jahren gab es einen Beitrag über den, ich zitiere, ‚international erfolgreichen Restaurator und Kunstexperten’. Er hatte damals gerade im Rathaus an einem Gemälde gearbeitet.“
Sie reichte ihm einen Ausdruck des Artikels. Er war etwas mehr als fünf Jahre alt. Das zweispaltige Foto zeigte einen gepflegten Mittvierziger mit graumelierten Schläfen und sorgfältig gestutztem Kinnbart vor einem pompösen Ölgemälde im Waldenthaler Ratssaal. In der rechten Hand hielt er ein Wattestäbchen und schien damit gerade eine Chemikalie auf das Bild aufzutragen. Die Linke mit der echten oder damals schon falschen Uhr war nur teilweise zu sehen.
„Er war ein hübsches Kerlchen“, fand Marcks.
„Er war ein Playboy. Stürmer kam aus einer wohlhabenden Familie und war eine bekannte Figur in der Stadt. Er pflegte einen reichlich aufwändigen Lebensstil.“
„Kannten Sie ihn persönlich?“
„Wir liefen uns hin und wieder bei gesellschaftlichen Anlässen über den Weg. Außerdem trafen wir uns jedes Jahr bei den ‚Waldenthal Classics’.“
„Was ist das?“
„Die jährliche Oldtimerparade. Stürmer war Mitglied in einem ziemlich exklusiven Sammlerclub und fuhr oft mit einem knallgrünen 59er Cadillac durch die Stadt.“
„Was war er für ein Typ?“
„Mein Fall war er nicht. Er verkehrte mit einer Gruppe von Leuten, die mit ihrem ererbten Geld protzten. Charterflüge nach St. Moritz oder zum Shoppen nach London waren an der Tagesordnung. In einer Arbeiterstadt wie Waldenthal macht man sich mit so einem Verhalten wenig Freunde.“
„Kann man denn mit Restaurationen genug verdienen, um sich so einen Lebenswandel leisten zu können?“
„Vermutlich nicht. Wenn ich mich richtig erinnere, hatte Stürmers Vater ihm ein paar lukrative Immobilien hinterlassen, die der Junior dann nach und nach verhökerte, um flüssig zu bleiben und mit seinen Freunden mithalten zu können.“ Velten betrachtete den Artikel nachdenklich: „Irgend etwas ist seltsam an diesem Foto.“
Seine Kollegin sah es sich ebenfalls auf ihrem Monitor an: „Ja, das Gemälde. Wer ist der hässliche Dicke in der Operettenuniform?“
Velten grinste: „Ich darf Sie doch um etwas mehr Respekt für unseren Stadtgründer bitten. Das ist Landgraf Konrad der soundsovielte. Aus unerfindlichen Gründen zog er im achtzehnten Jahrhundert aus dem Hessischen hierher und gründete dort, wo der Pfälzerwald am finstersten war, eine Garnison. Seine Grenadiere bauten mit ihren Familien ein paar Hütten drum herum, fertig war ein Dorf namens Waldenthal. Konrad war so vernarrt in den Flecken, dass er ihm bald darauf die Stadtrechte verlieh. Später, als der alte Landgraf das Zeitliche gesegnet hatte und seine Grenadiere arbeitslos geworden waren, sollen sie aus den Resten ihrer Uniformen die ersten Schuhe angefertigt haben. Der Legende nach war das der Anfang einer Industrie, die Waldenthal zumindest ein Jahrhundert lang einigermaßen wohlhabend gemacht hat. Sie sehen: ohne den alten Konrad würde es diese Stadt und den Morgenkurier nicht geben und wir beide würden jetzt nicht hier sitzen. Aber der Landgraf stört mich nicht. Irgendetwas an Stürmer ist merkwürdig.“
Velten sah sich erneut das Bild in dem Artikel an. Die Aufnahme stammte von Heiner Wagner. Der erfahrene Kurier -Fotograf hatte alles sorgfältig inszeniert und den Restaurator so postiert, dass das Licht aus den großen Fenstern des Ratssaals ihn optimal traf. Der Hintergrund wurde fast vollständig vom großformatigen Porträt des majestätisch dreinblickenden Landgrafen ausgefüllt. Stürmer hielt ein Wattestäbchen in der rechten Hand und schien damit eine Reinigungslösung auf Konrads eisernen Brustpanzer aufzutragen, um die in Jahrzehnten gewachsene Schmutzschicht von der empfindlichen Ölfarbe abzulösen. Tatsächlich war die ganze
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