Eine Frage der Zeit
paar Sekunden sah sie der Qualmwolke sinnierend hinterher. „Ich habe die Entscheidung nie bereut. Ein solches Unternehmen wirft in einer Stadt wie Waldenthal für zwei Inhaber einfach zu wenig ab. Es reicht gerade für mich alleine.“
„Sie haben ein sehr schönes Geschäft“, lobte Marcks. „Man merkt sofort, dass Sie es mit viel Liebe zum Detail eingerichtet haben.“
Marion Clarke lächelte. „Vielen Dank. Schauen Sie doch einmal bei mir vorbei, wenn Sie ein wenig mehr Zeit haben. Wir finden bestimmt etwas Passendes für Sie.“ Sie taxierte die junge Frau: „Konfektionsgröße 34/36, richtig?“
„Stimmt. Aber ich fürchte, ich muss erst ein paar Gehaltserhöhungen abwarten, bevor ich wiederkommen kann.“
Wenig später hatten sie sich von Marion Clarke verabschiedet und das Geschäft verlassen. „Nicht ganz meine Preis- und Altersklasse, aber wirklich ein netter Laden“, schwärmte Marcks und betrachtete das Schaufenster. „Wenn Sie etwas Hübsches für Ihre Freundin suchen, sind Sie hier genau richtig.“
„Ich bin single.“
Marcks sah Velten mit leichtem geneigtem Kopf an: „Verstehe. Es ist auch sicher nicht einfach, eine Frau zu finden, die dem Vergleich mit Susanne Staller standhält. Sie ist nicht nur wahnsinnig tough, sondern auch sehr attraktiv. Wie lange sind Sie schon getrennt?“
„Eine ganze Weile. Ich schlage vor, Sie stecken Ihre Spürnase wieder in unsere Story und nicht in mein Privatleben.“.
„Wie Sie wollen, Chef. Warum schickte Stürmer eine SMS an seine Freundin, mit deren Inhalt sie überhaupt nichts anfangen konnte?“
Velten dachte nach: „Das hat mich auch überrascht. Spontan fallen mir zwei mögliche Erklärungen ein. Erstens: er war nach dem Raub und dem Mord an Landau völlig durch den Wind und war sich gar nicht darüber im Klaren, dass die Clarke Fleischmann nicht kannte und von seinen Spielschulden nichts wusste.“
„Das überzeugt mich nicht. Versuchen Sie es mit ‚zweitens’.“
„Zweitens: Die SMS war überhaupt nicht für Marion Clarke bestimmt, sondern für eine andere Person. Stürmer hat vielleicht einfach seine Frauengeschichten durcheinander gebracht und der falschen Freundin die Nachricht geschickt. Passiert mir auch hin und wieder?“
„Dass Sie Ihre Affären nicht mehr auseinanderhalten können?“
„Nein, dass ich E-Mails oder SMS an die falschen Adressaten verschicke.“ Marcks konnte wirklich eine Plage sein.
Sie standen noch immer vor dem Schaufenster von Marion Clarkes Boutique. Die Motorengeräusche vorbeifahrender Autos vermischten sich mit dem Plätschern des nahen Rossbrunnens, dessen Wassermassen in mehreren Kaskaden zum Schlossplatz hinunterrauschten. Ein paar Kinder wateten mit hochgekrempelten Hosen durch das flache Becken unter der bronzenen Pferdeskulptur, um sich ein wenig Abkühlung in der brütenden Mittagshitze zu verschaffen. Ihre Mütter saßen schwatzend auf der Brüstung. Velten hatte plötzlich Lust auf ein Eis.
„Es gibt aber noch eine dritte Möglichkeit“, sagte Marcks und riss ihn aus seinen Gedanken.
„Und die wäre?“
„Dass uns die Clarke angelogen hat. Womöglich kennt sie Fleischmann ja doch und vielleicht wusste sie auch, dass Stürmer ihm Geld schuldete.“
Velten musste sich eingestehen, dass er diese Möglichkeit überhaupt nicht in Betracht gezogen hatte. „Ja, das könnte sein. Dann würde sich allerdings die Frage stellen, warum sie uns das verheimlicht hat.“
„Ich werde das Gefühl nicht los, dass dieser Fleischmann der Dreh- und Angelpunkt ist. Wir sollten uns mit ihm unterhalten.“
Er verspürte wenig Neigung zu einem Gespräch mit einem stadtbekannten Schläger und vorbestraften Zuhälter, musste ihr aber zustimmen. Irgendwie war Fleischmann in den Fall verstickt. Entweder hatte ihn Stürmer als Gegenleistung für die Erlassung seiner Schulden an dem Kunstraub beteiligt oder diese Schulden aus dem Verkauf der Beute bezahlen wollen. Und es war nicht auszuschließen, dass Fleischmann etwas mit Stürmers Tod zu tun hatte.
„Er lenkt seine Geschäfte von seinem Nachtclub hier in Waldenthal. Der Laden heißt Mausefalle und befindet sich auf dem Gelände der früheren US-Kaserne in einer ehemaligen Kirche“, erklärte Velten, während sie langsam zurück zum Pressehaus gingen.
„Wie geschmackvoll“, antwortete Marcks.
„Unser Lude hat Sinn für Ironie. Wir werden ihm einen Besuch abstatten.“
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Mit Veltens Golf fuhren sie zum Konversionsgebiet im Norden
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